Nichts geht mehr – zumindest bei Bussen und Stadtbahnen. Foto: LichtgutJulian Rettig

Wohl dem, der mit der S-Bahn zur Arbeit kommt. Bei Stadtbahnen und Bussen geht an diesem Dienstag gar nichts. Wir haben uns bei gestrandeten Fahrgästen umgehört – und sind auf erstaunlich viel Verständnis für den Arbeitskampf gestoßen.

Stuttgart - Ziemlich leer sind die Bahnsteige an der Haltestelle Hauptbahnhof Arnulf-Klett-Platz am Dienstagmorgen. Auf der Ebene der Stadtbahnen geht nur ein Mann in neongelber Weste von den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) hin und her. „Guten Morgen“, sagt er und nickt freundlich zu. Die Fahrgäste, die sonst mit der Stuttgarter Stadtbahn fahren würden, bleiben heute vor der Rolltreppe stehen. „Die SSB wird heute bestreikt! Es fahren keine Busse und Stadtbahnen der SSB“, steht auf der Anzeige über dem Bahnsteig.

„Jetzt geht es wohl nur mit der S-Bahn weiter“, sagt Hans-Martin Walz. „In Corona-Zeiten ist das ein wenig kritisch, weil man ja so nah beieinandersteht.“ Der 59-Jährige ist auf dem Weg zur Arbeit. „Aber immerhin mache ich dann einen schönen Spaziergang. Ich brauche ja auch nur zehn Minuten länger“, findet der Angestellte einer Krankenversicherung.

„Ich brauche doppelt so lang wie sonst“

An einem Morgen wie diesem ist Kreativität gefragt. Eine Stuttgarterin sagt: „Ich bin von Weilimdorf erst mit dem Bus gefahren, dann mit der S-Bahn. Jetzt muss ich noch mal mit der S-Bahn weiter bis Bad Cannstatt.“ Die 55-Jährige hat heute schon einen weiten Weg hinter sich. Insgesamt werde sie nun doppelt so lange brauchen, wie mit der Stadtbahn, sagt die Pflegekraft: „Aber ich habe Verständnis für den Streik. Ich bin froh, dass wir in einem Land leben, in dem wir streiken können.“

„Erst bin ich mit dem Auto gefahren, jetzt geht es mit der S-Bahn weiter. Außerdem bin ich ein wenig spät dran – der Streik hat mich einfach überrascht“, sagt ein Flughafen-Mitarbeiter: „Jetzt brauche ich eine halbe Stunde länger. Das wäre mit der Stadtbahn natürlich einfacher gewesen.“ Zum Streik selbst habe er keine Meinung, aber gut wäre die Situation für ihn so natürlich nicht.

„Jeder Streik muss sein, egal wofür“

Ein anderer Fahrgast hat eine klare Meinung. „Jeder Streik muss sein, egal wo. Dafür habe ich Verständnis“, sagt er: „Ich bin zwar auch betroffen, aber die zehn Minuten mehr mit der S-Bahn sind doch geschenkt für so eine wichtige Sache.“ Ein anderer Stuttgarter ist in Eile: „Ich verstehe das mit dem Streik schon, aber die Zeit jetzt mit Corona ist einfach unglücklich“, sagt der Mann, bevor er in die abfahrbereite S-Bahn springt. „Das hat mich heute total überrumpelt“, sagt eine Frau, während sie hektisch auf ihrem Smartphone nach einer alternativen Verbindung sucht: „Das ist jetzt einfach nur beschissen.“

„Mich betrifft es so direkt nicht“, meint Ruth Hausmann: „Aber es ist einfach wichtig, dass gestreikt wird.“ Die 32-jährige Pflegepädagogin weist auch auf andere Berufe hin, wie die im Krankenhaus, die während der Corona-Pandemie unter besonderer Belastung stehen. Ihrer Meinung nach sei der Streik eine richtige Methode, um auf Missstände hinzuweisen.

„Ich muss schauen, wie ich jetzt weiterkomme“

Auf dem Bahnhofsvorplatz fahren an diesem Morgen auch keine Busse. Einige Fahrgäste stehen trotzdem hier und warten entweder darauf, dass sie abgeholt werden oder suchen nach anderen Alternativen.

„Der Streik betrifft mich schon sehr. Ich muss echt schauen, wie ich jetzt weiterkomme“, sagt Monika Leßle: „Ich verstehe das nicht. Ist es nicht ausreichend, dass wir als Kunden auch während der Zeit im Home-Office unser Abo bezahlt haben? Da muss man sich jetzt echt überlegen, ob man das noch weiter finanzieren will.“ Die Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei müsse nun etwa dreißig Minuten zu Fuß zur Arbeit gehen.

„Streik heißt für mich jetzt, dass ich von Kollegen abgeholt werde. Und nachher muss ich zittern, ob ich meine Kinder überhaupt von der Kita abholen kann“, sagt eine Frau, die auf dem Arnulf-Klett-Platz im Regen wartet. „Aber ich arbeite selbst in der Pflege. Ich kenne das mit den Streiks schon. Egal wann und wie, ich bin immer betroffen: SSB, Kita oder eben selbst. Aber wenn es die einzige Möglichkeit ist, etwas an der Arbeit zu verbessern, dann ist das schon okay“, findet die 46-Jährige.

„Für mich als Taxifahrer ist das ein gutes Geschäft“

Vor dem Eingang zum Hauptbahnhof steht Heinz Wink und telefoniert. „Ich versuche mir gerade mit Kollegen ein Taxi zu organisieren. Wir fahren zu einer Fortbildung“, sagt der 52-Jährige. „Aber ich habe Verständnis für die Streiks. Ich arbeite selber im öffentlichen Dienst und kenne die Perspektive“, meint der Sozialarbeiter. „Naja, für mich ist das jetzt ein gutes Geschäft“, sagt ein Taxi-Fahrer: „Bei dem Regen wollen die Leute nicht laufen. Aber es ist ja auch nur ein Tag.“ Dem 38-Jährigen sei es egal, wer weswegen streikt. Nur die Straßen seien ihm heute zu voll, sagt er.

Am Marienplatz stoßen wir auf einen Mann mit signalfarbener Jacke und Helm. Er hat Blinklichter an seinem Gefährt. „Zum Glück kann ich mit dem Fahrrad zur Arbeit“, sagt Jan Dubiel. Der 29-Jährige steigt normalerweise nur bei Sonnenschein auf sein schwarzes Rennrad, sonst fährt er mit der Stadtbahn. „Die werden schon ihre Gründe haben, warum sie streiken. Ist nur unschön, dass jetzt wieder viel Auto gefahren wird. Das sollte eigentlich raus aus der Stadt“, findet der gebürtige Berliner.

„Ich muss das jetzt ausbaden“

„Mich stört es schon sehr. Ich muss das jetzt eben ausbaden“, sagt Franka Raming, während sie auf dem Marienplatz auf ihr regennasses Smartphone-Display schaut. „Das geht einfach nicht, wenn man Kundentermine hat. Da kann ich nicht zu spät kommen.“ Die Unternehmensberaterin weiß nicht weiter: „Hier steht auch nirgendwo ein Car-Sharing-Auto. Und mit dem Fahrrad oder diesen E-Scootern kann ich bei dem Wetter doch nicht fahren.“

Die Gewerkschaft Verdi hat für Dienstag einen ganztägigen Warnstreik bei der SSB ausgerufen. Davon sind alle Stadtbahnen in Stuttgart und viele SSB-Busse betroffen. Ebenfalls bestreikt werden die Zahnradbahn und die Seilbahn in Stuttgart. Die S-Bahnen und Regionalzüge sind nicht vom Streikaufruf betroffen und fahren regulär.