Wir-sind-Helden-Sängerin Judith Holofernes kennt sich mit Stress aus. Foto: Lichtgut/Hörner

Kein volles Wartezimmer, sondern ein voller Zuschauerraum: Ihre erste Sprechstunde im Theaterhaus widmet die AOK dem Thema Stress. Mit dabei: die Talkgäste Judith Holofernes, Heinz Rudolf Kunze und Martin Bohus.

Stuttgart - „Ich mach’ heut nichts, nichts, nichts, ich geh’ spazieren, ich red’ mit Tieren, die nichts kapieren.“ Mit diesem Lied hat die Sängerin, Songschreiberin und Autorin Judith Holofernes ihre selbst verordnete Therapie gegen Stress ausgedrückt. Denn der Erfolg ihrer Band Wir sind Helden mit vielen Preisen war für die Frontfrau, verheiratet mit dem Schlagzeuger Pola Roy und inzwischen Mutter von zwei Kindern, derart zur Belastung geworden, dass die Band 2012 eine Auszeit verkündete.

„Ich stand mit einem Fuß im Burn-out und habe ein halbes Jahr nichts gemacht, um die Krise zu überstehen“, bekennt die 42-Jährige in der gemeinsam mit unserer Zeitung veranstalteten AOK-Sprechstunde, deren prominente Talkgäste etwa 400 Bewunderer und Interessierte ins Theaterhaus locken.

Was ist Stress? „Psychischer Druck, zu viel Arbeit, schlechte Laune, Herzklopfen, das Gefühl von Überforderung, Rückenschmerzen und Kopfschmerzen“, antworten Stuttgarter, die zu diesem Thema auf dem Schlossplatz befragt und gefilmt wurden.

Sänger Kunze hört auf seinen Körper

Dabei fällt auch der Begriff „hausgemacht“. Was Martin Bohus, als Stress-Experte vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim so viel angefragt, dass sein Auftritt in Stuttgart gerade mal zwischen New York und Tokio möglich war, indirekt bestätigt: „Wir haben einen Maximierungs- und Optimierungsanspruch an uns selbst und gehen alle über die Limits“, beschreibt er die Entwicklung. In den vergangenen 17 Jahren sei die Arbeitseffektivität um 47 Prozent gesteigert worden. Aber im Grunde sei diese Art von Stress ein „Luxus-Kultur-Symptom“ im Vergleich zur Belastung durch existenzielle Probleme.

Wie geht Heinz Rudolf Kunzemit den Anforderungen um, die der Erfolg mit sich bringt? Er höre auf seinen Körper, antwortet der 61-jährige Rocksänger, Schriftsteller, Liedermacher, Texter und Übersetzer von Musicals auf die Frage der Moderatorin Britta Wiegand. Der Erfolg sei auch nicht lawinenartig über ihn hereingebrochen, seinen Durchbruch habe er erst nach fünf Anläufen erlebt, erzählt das Multitalent: „Mein Körper hat sich seit 1981 angewöhnt, selbst zurückzuschalten.“ Dennoch sei er Ende der 80er Jahre von Panikattacken heimgesucht worden: „Erstaunlicherweise nur im Ruhezustand zu Hause, nicht auf der Bühne.“

Vor Auftritten mutiere er zur Schildkröte. Während andere wie ein Flummi-Ball aufgedreht rotieren, wieder andere grün im Gesicht stumm und verzweifelt an Lampenfieber leiden – Namen gibt Kunze nicht preis –, ziehe er den Kopf unter den Panzer und schalte zwei Stufen runter. Eine Strategie, um nicht nur mit Lampenfieber, sondern auch mit den Veränderungen im Unterhaltungsmetier und Showbusiness fertig zu werden: „Die Anforderungen sind gestiegen, alles muss und kann technisch schneller gehen, dabei sind die Einkommen eingebrochen und die Budgets kleiner. Die Musikszene ist nervös und ungeduldig.“ Was er gegen aufkommenden Stress tut? „Spazieren gehen mit dem Hund, lesen und Musik hören.“

Was verschreibt der Stress-Experte?

„Es war schwer, die Band aufzugeben“, räumt Holofernes ein. Sie wollte nur noch schreiben, Tiergedichte und Romane beispielsweise. Dann sind es doch wieder Songs geworden: „Sehr dunkel getönt.“ Aber auch witzig wie das Lied vom Nichtstun mit dem beziehungsreichen Wortspiel: „Ich gründe eine Müßig-Gang.“

„Der Mensch ist dafür entwickelt, mit Belastungen umzugehen“, sagt Bohus: „Wir sind in der Lage, uns ganz toll zu überfordern.“ Man könne auch lang auf hohem Belastungslevel durchhalten, „aber die Batterien werden nicht voller“. Da lobe er sich einen Song wie den von Holofernes, die ebenso wie Kunze sehr reflektiert tiefe Einblicke ins Seelenleben gestattete.

Was verschreibt der Stress-Experte? Bohus zitiert aus einer US-Studie: Stress verkürze das Leben. Aber nur, wenn man glaubt, dass er das Leben verkürzt. Sein Rezept: Stress annehmen und mental dagegenhalten. Mit Sport, Singen, Freunden, denn stabile Kontakte seien „lebenserhaltender als der Verzicht auf Rauchen und Alkohol“.

Oder Musik hören wie in der AOK-Sprechstunde, denn der Auftritt von Holofernes und Kunze, auch mit dem Hit „Dein ist mein ganzes Herz“, wird bejubelt. Jeder Stress ist zumindest im Moment vergessen.