Nicht nur absolute Spitzenverdiener zahlen den Spitzensteuersatz Foto: dpa

Schon die Mittelklasse zahlt auf ihre Einkommen den Spitzensteuersatz. Das hat unerwünschte Nebenwirkungen, meint StN-Autor Klaus Köster

Stuttgart - Nimmt man die Steuersätze zum Maßstab, besteht Deutschland zu einem guten Anteil aus Reichen und Superreichen. 7,5 Prozent der Steuerzahler erreichen bei der Einkommensteuer mit ihren Einkünften den Steuersatz von 42 Prozent, der nur noch bei denjenigen übertroffen wird, die dazu noch die Reichensteuer von drei Prozent zahlen müssen. Damit entfernt sich die Steuerpolitik immer weiter von der Selbstwahrnehmung derer, die diese Steuern zu zahlen haben. Denn der Höchststeuersatz war einst wirklichen Spitzenverdienern vorbehalten, deren Einkommen mindestens 15-mal so hoch war wie das der Durchschnittsverdiener. Heute reicht das Eineinhalbfache des Durchschnittseinkommens, um in den unbeliebten Olymp der Top-Steuerzahler vorzudringen.

Nicht nur die Reichsten werden belastet

Dass Besserverdiener überproportional belastet werden, ist ein Grundpfeiler der deutschen Politik, der das sinnvolle Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit zugrunde liegt. Doch längst greift der Staat nicht nur bei den Reichsten, sondern auch tief in der Mitte der Gesellschaft maximal zu. Dazu gehören inzwischen in großer Zahl Fachkräfte, die in der Region gefragt sind, aber im Gegenzug auch enormen finanziellen Belastungen standhalten müssen, die bei der Besteuerung aber kaum berücksichtigt werden. Selbst hoch bezahlte Ingenieure tun sich heute schwer, in der Region bezahlbaren Wohnraum zu finden. Nimmt man die immens hohen Lebenshaltungskosten als Maßstab, relativiert sich auch der angeblich hohe Wohlstand in der Region Stuttgart. Die Steuerlast aber nimmt darauf keine Rücksicht, und auch das Sozialsystem ist gegenüber diesen riesigen Diskrepanzen weitgehend blind. Umso wichtiger wäre Augenmaß bei der Belastung.

Natürlich sind Geringverdiener noch weit stärker von den steigenden Kosten fürs Wohnen betroffen, wofür neben der unzureichenden Bautätigkeit auch die Hunderte von Milliarden teure Energiewende beiträgt. Diese wird schließlich weitgehend vom Stromverbraucher und damit überproportional vom ärmeren Teil der Bevölkerung bezahlt. Wer das Problem aber dadurch lösen will, dass er die Mittelschicht zu Topverdienern erklärt, die es möglichst hoch zu belasten gilt, setzt die völlig falschen Anreize.

Wofür gibt der Staat das Geld aus?

Weil sich die Belastung mit steigenden Einkommen so stark erhöht, werden zusätzliche Einkünfte, etwa durch Überstunden, vergleichsweise besonders hoch belastet. In Zeiten, da ohnehin an allen Ecken und Enden Fachkräfte fehlen, ist dies das genau falsche Signal. Mittlerweile fällt es selbst Spitzensteuerzahlern schwer, das zum Bau einer Immobilie notwendige Eigenkapital aufzubringen. Dabei gehört der Mangel an Wohnraum zu den größten sozialen Schieflagen im Land.

Es spricht Bände, dass inzwischen auch die Linkspartei ihr Herz für die einst als Besserverdiener geschmähten Spitzensatz-steuerzahler entdeckt hat – zumindest für diejenigen, die im Monat bis zu 7000 Euro verdienen und damit tief in die Zone der Maximalbelastung vorgedrungen sind. Auch die Stadt Stuttgart vergibt ihre Familien-Card, die zum Beispiel günstigere Kita-plätze verspricht, sogar an Bürger, die den Spitzensteuersatz zahlen. Nur in der Steuerpolitik ist die Realität noch nicht angekommen. Sie greift nahezu unvermindert zu und steckt das Geld in Projekte wie eine viele Milliarden teure Grundrente, die nur zu einem kleinen Bruchteil wirklich Bedürftige erreicht, während dringend notwendige Zukunftsprojekte wie Investitionen ins Bildungswesen und in die Grundlagenforschung darben. Ein Staat, der offenbar gar nicht mehr weiß, wie er das Geld sinnvoll ausgeben kann, sollte es am besten den Bürgern zurückgeben.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de