Dunkle Wolken über Mannheim – und dem deutschen Fußball. Foto: dpa

Der Sonntag hat es noch einmal schonungslos offenbart: Es gibt nach wie vor Gewaltpotenzial im deutschen Fußball, so dass die Partie Waldhof gegen Uerdingen sogar abgebrochen werden musste.

Stuttgart/Mannheim - Zunächst einmal die gute Nachricht: Das baden-württembergische Innenministerium rechnet nicht mit der Anreise von gewalttätigen Fans zur Fußball-WM nach Russland. Als Grund wurden die hohen Kosten sowie die lange Anreise zu den Spielstätten genannt, wie ein Sprecher in Stuttgart mitteilte. jetzt die schlechte Nachricht: Das ändert nichts daran, dass es auf regionaler Ebene ein Hooligan-Problem gibt – wie sich beim provozierten Abbruch des Regionalliga-Relegationsspiels Waldhof Mannheim gegen KFC Uerdingen am Sonntag gezeigt hat.

Wie kam die Pyrotechnik ins Stadion?

Die Vorarbeit könnte bereits in Nacht zum Samstag gelegt worden sein. Wie der Verein am Montag bestätigte, fand zu der Zeit eine Grillparty der Mannheimer Ultras im Carl-Benz-Stadion statt. Bei dieser Gelegenheit wurde möglicherweise das verbotene Material deponiert. Eigentümer des Stadions ist die Stadt Mannheim. Ob den Behörden im Rathaus ein Vorwurf gemacht werden kann oder ob die Ultras ohne Erlaubnis „gegrillt“ haben, ist noch offen.

Welche Gegenmaßnahmen gibt es?

Die Suche nach Feuerwerkskörpern gleicht oft der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. So sind schon kleine Beutel mit Rauchpulver einzeln ins Stadion geschmuggelt wurden und später zusammengelegt worden oder aber auch im Intimbereich versteckt worden. „Das Pyrotechnik-Material ist nicht sehr groß, und man kann die Kontrollen nicht mit denen am Flughafen vergleichen“, sagt Frank Thumm, Abteilungsleiter Recht beim Württembergischen Fußballverband (WFV) und gleichzeitig auch der verantwortliche Mann fürs Thema Sicherheit. „Es gibt Bereiche am Körper, wo kein Ordner hinfasst. Das wird ausgenutzt. Außerdem besteht immer die Möglichkeit über Dienstleister wie Caterer oder Ordner Dinge ins Stadion zu schmuggeln“, sagt Thumm. „ Der Fantasie sind hier keine Grezen gesetzt. Deshalb ist es sehr schwierig, mit rechtsstaatlichen Mitteln und zumutbarem Aufwand den Transport ins Stadion zu verhindern.“ Leute, sich in Zelten entkleiden zu lassen, was schon vorkam, sei dauerhaft praktisch nicht durchführbar. Auch wurde Pyrotechnik schon in Trommeln versteckt, Orangen oder auch in eingegipsten Armen oder Beinen.

Wer kam in Mannheim zu Schaden?

Die Mannheimer Polizei zog ein erschreckendes Fazit des Einsatzes. Insgesamt wurden 45 Personen verletzt – darunter sechs Beamte. Zehn Randalierer wurden festgenommen, 24 Strafanzeigen gestellt. Nach der Auswertung der Videoaufnahmen kann sich diese Zahl noch erhöhen. „Es sind mehrere Kameraeinstellungen, die jetzt komplett gesichtet werden“, sagte ein Sprecher der Polizei. „Das kann sich über mehrere Wochen hinziehen.“

Welche Strafen erwarten den Verein?

Waldhof Mannheim droht ein hartes Durchgreifen vonseiten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Der Kontrollausschuss hat am Montag Ermittlungen aufgenommen, am Ende wird das Sportgericht über die Sanktion entscheiden. Laut Reglement dürfte die Partie zwischen Mannheim und dem KFC Uerdingen, die in der 82. Minute beim Stand von 1:2 von Schiedsrichter Patrick Ittrich (Hamburg) abgebrochen wurde, vom Sportgericht mit 2:0 für die Gäste gewertet werden. Das Urteil wird in den nächsten Tagen erwartet. „Der DFB wird eine Bestrafung vornehmen“, sagte Waldhof-Geschäftsführer Markus Kompp. „Das ist in Ordnung, die werden wir auch akzeptieren.“ Denkbar sind künftig auch Spiele unter (Teil-)Ausschluss der Öffentlichkeit.

Was sagt der DFB?

Für den DFB-Vizepräsidenten Ronny Zimmermann ist das Maß voll. Als Augenzeuge der Partie sagte er dem „Mannheimer Morgen“: „Der deutsche Fußball ist den Fans weite Schritte entgegengegangen. Und wenn das die Antwort auf ein Entgegenkommen und ein Dialogangebot ist, sind wir jetzt am Ende angekommen. Da müssen wir nicht mehr über Fußballkultur sprechen, mit so etwas möchte ich nichts zu tun haben.“ Über das Thema Pyrotechnik liegen Verbände und Fankreise seit Jahren im Streit, einige organisierte Fangruppen fordern den Einsatz in bestimmen Zonen zu legalisieren und Pyrotechnik unter Aufsicht kontrolliert abzubrennen. Der Satz „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“, ist fast schon ein geflügeltes Wort in der Szene. Doch für einen Kompromiss gibt es keine Basis, das Verhältnis vieler Gruppen zum Verband ist zerrüttet. In den ersten beiden Ligen wird auch deshalb seit einiger Zeit wieder verstärkt gezündelt.

Kommt Pyrotechnik häufiger im Amateurbereich vor?

„Schon seit ein paar Jahren beobachten wir einen Trend in Richtung untere Klassen“, sagt Frank Thumm vom WFV. Der Grund ist klar: Die Sicherheitsvorkehrungen sind dort aus organistorischen und finanziellen Gründen bei weitem nicht so hoch wie im Profibereich, die Fans suchen sich deshalb die Plattform verstärkt im Amateurbereich.

Welche Maßnahmen ergreift der WFV?

Das Sicherheitskonzept sieht bei den Ordnern eine Grundschulung vor. Bei allen baden-württembergischen Oberligisten – bis auf den SSV Reutlingen – kommen keine gewerblichen Ordnungsdienste zum Einsatz, sondern ehrenamtliche. WFV-Mann Thumm sagt: „Diese von den Vereinen gestellten, ehrenamtlichen Ordner haben beim Abtasten eine noch größere Hemmschwelle als professionelle. Deshalb sind die Schulungen so wichtig.“ Welche Auswirkungen hat der Abstieg der Stuttgarter Kickers in die Oberliga?

Thumm sieht den WFV gut vorbereitet: „Vor einigen Jahren hatten wir mit dem SSV Ulm, Waldhof Mannheim und dem SSV Reutlingen drei Traditionsvereine mit teils problematischen Fan-Gruppierungen in der Liga. Von diesen Erfahrungen profitieren wir – auch in den Absprachen mit den Sicherheitsdiensten und der Polizei.“

Warum gibt es häufig bei Relegationsspielen Ausschreitungen?

Im unteren Bereich liegt dies laut Thumm auch an der Tatsache, dass die Spiele auf neutralem Platz stattfinden: „Die Hemmschwelle auswärts ist niedriger als zu Hause, wo ich meinem Verein noch mehr schade.“ Außerdem ist die Brisanz und die Aufmerksamkeit bei Alles-oder-nichts-Spielen höher als bei normalen Punktspielen. Thumm: „Gewisse Nachahmereffekte aus dem Profibereich sind auf Amateurebene auch nicht von der Hand zu weisen.“