Ein früheres Kloster beherbergt die Forensische Foto: Piechowski/ZfP/Schultes

Ob die Benediktiner-Abtei in Zwiefalten als Ort für Straftäter gut genug gerüstet ist, darüber müsse nach dem Ausbruch ernsthaft diskutiert werden, sagt Gerhard Längle, der Ärztliche Direktor der Psychiatrie.

Zwiefalten - Mit einem selbst gebauten Rammbock und zusammengeknoteten Bettlaken konnten am Samstag drei Straftäter aus der geschlossenen Abteilung der Zwiefaltener Klinik für Forensische Psychiatrie fliehen. Zwei der Männer sind in Esslingen gefasst worden, nach dem Dritten, einem 32-jähriger Türken, fahndet die Polizei mit Hochdruck.

Herr Längle, wie konnte die Flucht durch die massive Klosterwand gelingen?
Alle Experten hielten die Klostermauer für sicher, sie ist 40 Zentimeter dick, besteht aus großen Feldsteinen. Sie hat viele hundert Jahre lang gehalten. Jetzt mussten wir feststellen: Das stimmt nicht. Den Ausbrechern gelang es wohl innerhalb eines Tages, die Wand so zu schwächen, dass sie durchbrochen werden konnte. Wir kontrollieren morgens und abends die Zimmer. In der Zwischenzeit ist es passiert. Die Ausbrecher haben vermutlich den Mörtel weggekratzt, dann setzten sie den Rammbock ein und seilten sich aus dem zweiten Stock ab.
Waren die drei in einem Zimmer?
Nein, sie wohnten in einem speziell gesicherten Trakt, einer Art kleiner WG. Der Bereich ist vom Rest der Station abgetrennt. Die Männer standen kurz vor der Rückführung in die Haftanstalt. Der Ausbruch fand aus einem der Schlafräume statt. Das Personal hatte an jenem Samstag sechs, sieben Mal Kontakt mit den Patienten, allerdings in einem gemeinsamen Aufenthaltsraum. So konnten sie unbemerkt die Flucht vorbereiten.
Sie haben nach einer Häufung von Ausbrüchen 2012 und 2013 die Sicherheitsvorkehrungen drastisch verschärft. Da haben Sie wohl eine Schwachstelle übersehen?
Wir haben mehr als eine halbe Million Euro in Sicherheitsmaßnahmen investiert. Es gibt eine Videoüberwachung, etliche Wände wurden verstärkt, wir haben einen besonders geschützten Bereich mit zur Isolierung geeigneten Einzelräumen gebaut und die personelle Präsenz hochgefahren. Die Patienten werden nachts in den Zimmern eingeschlossen. Unsere Sicherheitsstandards sind mittlerweile sehr hoch. An einen Wanddurchbruch hat keiner der vielen Experten gedacht.
Trotzdem wurden sie überlistet.
Die drei Patienten haben sich gut gekannt und konnten gemeinsam planen. Das ist eher eine Seltenheit. Sie waren vorab alle weitgehend unauffällig, es gab keine Aggressionen oder Hinweise auf einen möglichen Ausbruch. Hätte es eine akute Gefahrenlage gegeben, wären die Männer per Video überwacht worden. Ausbrüche hatten wir in den letzten Jahren nur vereinzelt. In der Endphase der Therapie wohnen viele Patienten schon draußen, sie gehen einer Arbeit nach. Einer der Flüchtigen war bereits Freigänger und hatte einen Rückfall.
Muss die Psychiatrie so sicher gemacht werden wie ein Gefängnis?
Über diese Frage müssen wir in Folge des Ausbruchs ernsthaft diskutieren. Das Klostergebäude, eine ehemalige Benediktiner-Abtei, wurde lange als Krankenhaus genutzt, dann zog die Forensik ein. Wir müssen uns fragen, ob bauliche Maßnahme für eine Ertüchtigung ausreichen oder ob man sich ganz andere Gedanken machen muss.
Ein Neubau?
Hier zu spekulieren wäre voreilig.
Die Blaupause für die Flucht ist auf dem Markt, Nachahmer könnten folgen.
Das ist klar. Wir setzen zurzeit mehr Personal ein und überprüfen die Räume häufiger. Vermutlich benötigen wir zusätzliche Sicherungen, Techniker sind vor Ort. Das muss schnell gehen. Einer der festgenommenen Ausbrecher ist wieder in Zwiefalten, isoliert in einem Einzelzimmer. Er soll in eine Justizvollzugsanstalt gebracht werden. Der andere ist bereits wieder in Haft.
Wer genau wird in der psychiatrischen Forensik behandelt?
Die Forensik nimmt sich jener Straftäter an, deren Tat in Verbindung mit einer psychischen Krankheit oder einer Suchterkrankung steht. In Zwiefalten sind ausschließlich Suchtkranke im sogenannten Maßregelvollzug. Die Richter gehen davon aus, dass keine weiteren Straftaten zu erwarten sind, wenn die Sucht gut behandelt ist. Früher waren das häufig Opiatabhängige oder Alkoholiker, mittlerweile werden meist verschiedene Suchtmittel konsumiert: Medikamente, Heroin, Kokain, Alkohol in wechselnden Mischungen.
Alle drei Ausbrecher waren wenig therapiewillig und standen kurz vor der Rückkehr in Gefängnisse. Sollten die Rückverlegungen nicht beschleunigt werden?
Wir würden Patienten gerne früher und schneller verlegen. Wenn feststeht, dass eine Therapie nicht sinnvoll ist, müsste der Patient am nächsten Tag zurück ins Gefängnis gebracht werden können. Doch das zieht sich oft über Monate hin. Die Betroffenen können Widerspruch einlegen, da wird taktiert. Man müsste unbedingt das Strafvollzugsgesetz ändern. Immerhin gibt es seit den Ausbrüchen 2013 die Möglichkeit, einzelne Personen, bei denen eine hohe Fluchtgefahr besteht, in eine besondere Einheit nach Heimsheim oder zurzeit auch nach Rottenburg zu verlegen. Dort ist ein Entkommen wesentlich schwieriger.