Zerrissenheit, Verletzlichkeit – diese Motive tauchen immer wieder auf in den Werken. Foto:  

Zerrissene Körper, Roboterarme, mit Draht geflickte Wunden – das Ludwigsburg-Museum stellt in den kommenden Wochen Werke der chinesisch-japanischen Künstlerin Cho Hikaru aus. Die 23-Jährige malt nicht auf Leinwand, sondern auf Körper. Das Ergebnis ist spektakulär.

Ludwigsburg - René Magritte hat das Destillat des Surrealismus in einem seiner berühmtesten Werke in einen kurzen Satz gepackt. „Ceci n’est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife.“) schrieb der Maler unter das Bild einer Pfeife, und das ist, wie vieles bei Magritte, so einfach wie genial. Die Augen täuschen uns Menschen, ein Bild von einer Pfeife bleibt immer noch ein Bild und wird nie zur Pfeife. Es ist anzunehmen, dass Cho Hikaru das Werk von Magritte gut kennt – auch wenn die 23-jährige chinesisch-japanische Künstlerin damit kokettiert, sie sei sich nicht bewusst, wer sie künstlerisch beeinflusst habe.

Aber vielleicht ist das auch nicht wichtig, und vielleicht spielt es auch keine Rolle, dass Cho Hikaru an einer sehr renommierten Kunsthochschule in Tokio studiert hat. Dass die Wirklichkeit nicht immer das ist, was sie zu sein scheint – das jedenfalls ist das Hauptthema ihres Werks. Man erkennt es an ihrer sogenannten Food-Art, für die sie beispielsweise die Schalen von Tomaten oder Bananen derart stark verfremdet, dass sie zu etwas ganz anderem werden. Den Satz „Das ist keine Tomate“ braucht es in diesem Kontext dann gar nicht mehr.

Cho Hikaru hat aus Bodypainting eine Kunstform gemacht

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Vergänglichkeit, was sich allein schon daraus ergibt, dass die allermeisten von Cho Hikarus Bildern vergänglich sind. Denn sie bemalt in der Regel keine Leinwände, sondern nackte Körper.

Dass der Ludwigsburger Kunstverein seit Sonntag Werke von Cho Hikaru ausstellt, ist durchaus ein Coup. In Japan ist sie eine bekannte Künstlerin, zahlreiche westliche Medien haben über sie berichtet, Amnesty International hat sie für eine Kampagne gebucht – aber die Ausstellung im Ludwigsburg-Museum ist ihre erste überhaupt in Europa. Zu sehen sind Illustrationen und Videos, vor allem aber Fotos von Cho Hikarus Bodypaintings, die sie zu einer eigenen Kunstform entwickelt hat. Warum sie diese ungewöhnliche Oberfläche wählt? Zufall, sagt sie auf englisch. „Ich wollte etwas malen, hatte aber kein Papier.“ Also habe sie ein Auge auf eine ihrer Hände gemalt – so ging das los, so ging es weiter. „Ich habe das nicht geplant.“

Auch der Kontakt zu Amnesty International sei zufällig entstanden, ebenso wie der zum südkoreanischen Konzern Samsung, der mit Werken von Cho Hikaru für ein Smartphone geworben hat. Sie habe Fotos von ihren Bodypaintings ins Internet gestellt, daraufhin sei sie angesprochen worden. Die Künstlerin lacht und fängt unvermittelt an, durch den hellen Ausstellungsraum zu tanzen.

Die Fotos wirken hyperrealistisch – und manchmal gruselig

Dass Amnesty International auf Cho Hikaru aufmerksam wurde, erscheint, wenn man ihre Kunst betrachtet, geradezu folgerichtig. Ihre Bodypaintings thematisieren Verletzbarkeit, ein Werk zeigt eine Frau, deren Gesicht, Hals und Schultern mit Drähten zusammengehalten werden müssen, während sie einen Teddybären im Arm hält. Ein anderes zwei nebeneinander stehende Männer, deren Körper in der Mitte durchgerissen zu sein scheinen. Das nie erfüllbare Streben des Menschen nach Perfektion verarbeitet sie auf einem Körper, auf den sie Roboterarme gemalt hat.

Drei bis sechs Stunden arbeitet die 23-Jährige an einem Painting. Die Fotos wirken, weil sie echte Menschen zeigen, ebenso hyperrealistisch wie surreal. „Manche finden das gruselig und können damit nichts anfangen“, sagt Cho Hikaru. „Aber anderen gefällt es anscheinend.“ Magritte, davon ist auszugehen, hätte es gefallen.

Angestoßen wurde die Ausstellung noch von Andrea Wolter-Abele, die den Ludwigsburger Kunstverein inzwischen verlassen hat, weshalb für die Schau Petra Lanfermann verpflichtet wurde. Sie sei fasziniert von den Werken, sagt die Kuratorin. „Ich glaube, Cho Hikaru findet es furchtbar, dass Menschen andere Menschen mit dem Auge beurteilen, anhand von Äußerlichkeiten.“ Ein Rolle spiele dabei sicher, dass sie als gebürtige Chinesin in Japan aufgewachsen sei – und deswegen, allein wegen ihrer Herkunft, von manchen Menschen Ablehnung erfahren habe.

Stimmt das? Ja, schon, sagt Cho Hikaru. Nationalität, Hautfarbe – solche Etiketten wolle sie mit ihrer Kunst hinterfragen. Über sich selbst spricht sie indes nicht viel, sondern sagt nur lapidar. „Allzu große Schwierigkeiten hatte ich eigentlich nicht.“ Dann lacht sie. Und tanzt.