Die SPD hat beim Parteitag abgestimmt. Foto: AFP

Die SPD hat den Weg zu Verhandlungen mit der Union frei gemacht. Für Martin Schulz ist das aber nur ein Etappensieg, kommentiert der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Bonn - Sie machen mit. Aber sie machen es nicht gerne. Selbst die, die auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt haben. Sie mögen es getan haben für ihren Vorsitzenden. Mit einer Portion politischer Vernunft und einem Hauch aufrührerischer Verzweiflung. Rückendeckung sieht anders aus.

Es hat für Martin Schulz gereicht. Aber es ist allenfalls ein Etappensieg. Und daran ist der Vorsitzende wieder einmal selbst schuld. Wie ein Buchhalter hat er den aus Prinzip skeptischen und verunsicherten Delegierten die aus seiner Sicht hervorragende Sondierungsbilanz vorgetragen. Da stand eine ehrliche Haut am Rednerpult, die versprach, sich um die Alltagssorgen von Millionen Kleinverdienern zu sorgen. Für die die Übernahme von schwarz-roter Regierungsverantwortung eine staatspolitische Pflicht ist, eine Grundlage für ein europäisches Solidaritätsmodell. Die Verhandlungsdelegation habe einen Großteil ihrer Wahlversprechen durchsetzen können, sagt Schulz ehrlich stolz. Doch der Beifall der Delegierten bleibt dünn. Die SPD wäre nicht die SPD, wenn sie nicht beschlossene Erfolge noch kurz und klein schlagen würde.

Martin Schulz muss aus dem Ergebnis Lehren ziehen

Nur 56 Prozent folgen Schulz. 362 Stimmen dafür, 279 dagegen: Das ist für die Jusos mehr als ein Achtungserfolg. Schulz wird daraus Lehren ziehen müssen. Klar ist: Die Koalitionsverhandlungen werden zum Vabanquespiel. Seine bis ins feste Versprechen gesteigerten Ankündigungen zu Familiennachzug, Abbau der Zwei-Klassen-Medizin und weiteren Fortschritten bei befristeten Arbeitsverhältnissen waren vielleicht der Stimmung im Saal geschuldet. Wie das irrlichternde Ziel, eine neue Bundesregierung müsse eine „SPD-Regierung“ sein. Und auch die schonfärberische Analyse der Parteiverfassung, dass nicht die Union, sondern die SPD aus einer Position der Stärke verhandeln könne, sowie die nach zwei Jahren angedachte Bruchstelle, davon konnte man nicht nur peinlich berührt sein: Es ist ein Grund zur Sorge.

Die SPD hat die Latte für einen Erfolg der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen noch einmal höher gelegt. Schulz wird jedoch seine Position nicht im Ansatz durchdrücken. Seine Stärke speist sich aus der Schwäche einer gespaltenen Partei, dessen Mitglieder anders als Delegierte nicht zähneknirschend dem Parteiestablishment folgen. Nach dem Sonderparteitag bleibt die Lage für die Parteispitze angespannt. Die Union weiß das. Sie trifft auf einen angezählten Gegner. Noch weiß sie nicht, wie sie reagieren soll. Schulz hat es fürs Erste geschafft. Ob es am Ende reicht, steht in den Sternen.

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