Auf der Suche nach einem Weg aus der Krise: Sigmar Gabriel. Foto: dpa

SPD-Chef Gabriel muss vorerst weiter machen, weil keiner einen besseren Plan hat. Seine Schwäche mindert seine Fähigkeit zum Kompromiss. Das belastet auch den Koalitionsausschuss an diesem Mittwoch.

Berlin - Er wolle sich bei Stephan Weil einfach mal bedanken, sagte Sigmar Gabriel gleich zu Beginn seiner Rede auf dem Parteitag der niedersächsischen SPD in Braunschweig am vergangenen Wochenende. Danke sagen dafür, dass der niedersächsische Ministerpräsident ihn bei seiner Arbeit in Berlin unterstütze. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber was ist in einer Partei, die sich als Volkspartei versteht, in der jüngsten Umfrage jedoch unter die 20-Prozent-Marke gefallen ist, schon noch selbstverständlich. Solidarität mit dem Chef jedenfalls nicht. Die SPD befindet sich im freien Fall. Und was noch schlimmer ist: Sie versinkt in kollektiver Depression. Schon immer waren die Genossen Meister darin, an der Welt, an sich selbst oder an beidem zu verzweifeln. Aber niemals erlosch dabei ihr Kampfgeist. Davon aber ist nichts mehr zu spüren. Die SPD, so scheint es, nimmt ihren Niedergang hin - und damit auch ihren Parteichef.

Nicht, dass Gabriel in Braunschweig eine schlechte Rede gehalten hätte. Er kennt die Partei wie kein Zweiter, er weiß, was die Mitglieder hören wollen. Stets hat Gabriel die Delegierten eines Parteitags von den Stühlen reißen können, auch wenn die Stimmung zuvor schlecht war. Deshalb muss es für ihn beklemmend gewesen sein, dass selbst dies nicht mehr funktionierte. Nicht mal in Braunschweig, seiner Heimatregion. An der Parteispitze wurde jedenfalls sehr genau registriert, dass Gabriels schärfste Waffe, seine brillante Rhetorik, stumpf geworden ist. Nichts hilft mehr, nichts mobilisiert, nichts begeistert.

„Wähl einfach einen anderen“

In der Aussprache nach dieser Rede sagte einer, die Leute würden Gabriel nicht mehr trauen. Da ging Gabriel ein zweites Mal ans Mikrofon, dünnhäutig, verbittert, aufgebracht: „Wenn Du wirklich glaubst, es liegt am Vorsitzenden, wähl einfach einen anderen. Stell einen auf, kämpf dafür, dass der Kanzlerkandidat wird, meine Frau freut sich drüber.“ Aber glaube keiner, dass damit das strukturelle Problem der SPD gelöst sei. So ungeliebt Gabriel mittlerweile auch sein mag, so sehr ist allen an der Parteispitze bewusst, dass er damit den Nagel auf den Kopf trifft.

Bemerkenswert oft wird inzwischen in der Partei an die letzten Wochen des Kurt Beck erinnert. Und man mag es nicht glauben, aber der Blick zurück auf dieses eigentlich so düstere Kapitel erfüllt manche angesichts der aktuellen Misere mit Wehmut. Denn damals gab es noch Personal, das den Karren ziehen wollte – Franz Müntefering, Frank-Walter Steinmeier, der eine wurde Parteichef, der andere Kanzlerkandidat, beide scheiterten. Diesmal traut sich keiner aus der Deckung. Kein Olaf Scholz, keine Hannelore Kraft, kein Martin Schulz und keine Andrea Nahles. „Derjenige, der es macht, muss wissen, wo die Partei hin soll, um wieder Erfolg zu haben“, heißt es. Das aber sei das eigentliche, große Problem. Denn diesen Masterplan habe keiner.

Sehnsüchtig blicken manche jenseits des großen Teichs auf die Strahlkraft eines Bernie Sanders, der trotz seines hohen Alters im US-amerikanischen Vorwahlkampf auf Seiten der Demokraten vor allem bei der Jugend ein Hoffnungsträger ist und für Aufbruch steht. Aber auch Sanders taugt den SPD-Strategen nicht als Vorbild. Denn was Sanders in den USA fordert, bezahlter Mutterschutz zum Beispiel, habe die SPD in Deutschland längst durchgesetzt. Man habe sich in gewisser Weise zu Tode gesiegt und wisse nun, nachdem trotz Mindestlohn, Mietpreisbremse und Rente mit 63 nur knapp 20 Prozent die SPD noch lieb haben, einfach nicht mehr weiter. Deshalb soll Gabriel weiter machen, an die Wand fahren, dazu taugt er seiner mutlosen Führungscrew noch.

Aber vielleicht klappt ja nicht einmal das. In SPD-Kreisen ist neuerdings zu hören, dass diesmal nicht im Führungszirkel, sondern „unten was ins Rutschen kommt“. Die Stimmung, so heißt es, drohe zu kippen. Nicht an der Parteispitze, sondern an der Basis. Die Frage sei, wann die Apathie in Wut umschlage – und wie lange Gabriel sich das eigentlich noch antun wolle.

Vorerst macht er weiter. Hat ja in der Regierung noch genug zu tun, die angesichts der schwachen Umfragen keiner platzen lassen will. Aber seine Schwäche mindert seinen Spielraum für Kompromisse. Entsprechend hart dürften an diesem Mittwoch die Gespräche im Koalitionsausschuss verlaufen, bei denen die letzten verbliebenen sozialdemokratischen Herzensanliegen dieser großen Koalition verhandelt werden: Leih- und Werkverträge, Erbschaftssteuer, ein Integrationsprogramm für Flüchtlinge. Dass CSU-Chef Horst Seehofer jetzt völlig überraschend ein höheres Rentenniveau ins Spiel gebracht hat, macht die Sache nicht leichter. Es reiche schon, dass Kanzlerin Angela Merkel links von der SPD kaum noch eine Lücke lasse, heißt es bei den Genossen. Ein SPD-Chef dürfe sich da nicht auch noch von einem CSU-Vorsitzenden bei der Rente links überholen lassen.