Lars Klingbeil will die Erneuerung vorantreiben – mit Andrea Nahles als neuen Machtzentrum der Partei. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil weist Kritik am hastigen Wechsel an der Spitze zurück. Die von Teilen der Partei geforderte Urwahl über den Vorsitz lehnt er zum jetzigen Zeitpunkt ab. Es werde erst noch geprüft, ob man später so etwas einführe.

Stuttgart - Das Führungschaos in der SPD ist beendet – nun werde es ruhiger, prophezeit Generalsekretär Lars Klingbeil. Auch das Mitgliedervotum werde eine Mehrheit bringen, versichert er.

Herr Klingbeil, in den Umfragen ist die SPD im freien Fall. Geht es noch weiter runter, wenn die Beschlüsse über die Groko oder den Parteivorsitz abgelehnt werden?
Ich gehe davon aus, dass wir beim Mitgliedervotum eine Mehrheit für den Koalitionsvertrag bekommen werden. Wir haben einen Vertrag ausgehandelt, der das Alltagsleben vieler Menschen deutlich verbessern wird. Und gestern haben wir in den Führungsgremien sehr zügig die Handlungsfähigkeit wiederhergestellt, nachdem Martin Schulz als Parteivorsitzender zurückgetreten ist. Daher ist meine Prognose, dass wir nun mehr Stabilität bekommen.
Ich erlebe eigentlich in meinen Veranstaltungen vor Ort nicht, dass Personalfragen ein großes Thema sind. Darüber wird eher in den sozialen Netzwerken und Medien diskutiert. Der Rücktritt von Martin Schulz war auch für mich persönlich ein schmerzhafter Moment. Aber es war richtig, dass wir schnell entschieden haben. Jetzt braucht die Partei Klarheit, und die wird es mit dem Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag und einer neuen Vorsitzenden auch geben.
Was ist nachvollziehbar am Rücktritt von Schulz – kurz nach Fertigstellung des Koalitionsvertrags?
Nach seiner Entscheidung, Außenminister zu werden, haben wir sehr viel Skepsis aus der Partei erlebt. Das hat Martin Schulz aufgenommen und seine Konsequenzen daraus gezogen. Er wollte nicht, dass die Debatte um seine Person die inhaltliche Debatte über den Koalitionsvertrag überlagert. Und davor habe ich großen Respekt.
Warum hat er den Vorsitz nicht behalten?
Weil die SPD ein starkes Zentrum braucht – jemanden, der den Weg klar definiert. Wenn er Vorsitzender geblieben wäre, ohne in die Regierung zu gehen, hätten wir außerdem Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende gehabt, einen Vizekanzler und starke Ministerpräsidenten – eine Konstellation mit vielen Machtzentren. Wir waren uns in der Parteiführung einig, dass wir eine Bündelung brauchen. Andrea Nahles wird das starke Zentrum der SPD sein.
Ein starker Außenminister namens Sigmar Gabriel soll partout verhindert werden?
Martin Schulz wollte Außenminister werden, weil er ein Europa-Kapitel im Koalitionsvertrag verhandelt hat, das er als leidenschaftlicher Europäer in die Praxis umsetzen wollte.
So bleibt diese wichtige Personalfrage offen?
Wen die SPD ins Kabinett schickt, wird nach dem Mitgliedervotum entschieden.
Wie vereinbaren Sie den Anspruch der Erneuerung mit dem Vorwurf, im Hinterzimmer gekungelt zu haben?
Der Erneuerungsprozess läuft unabhängig von der Frage, ob wir regieren. Es muss auf personeller, organisatorischer und struktureller Ebene eine Erneuerung geben. Der Parteivorstand hat mit der einstimmigen Nominierung von Andrea Nahles als Vorsitzende einen Personalvorschlag gemacht, dafür ist er vom Parteitag legitimiert. Dass es nun auch andere Kandidaturen gibt, zeigt doch, dass der Prozess völlig demokratisch ist. Unser Fokus muss aber klar auf das Mitgliedervotum gerichtet sein.
Ist die Lösung mit Olaf Scholz nicht nur ein Feigenblatt, weil man sich nicht traut, Nahles gleich die volle Verantwortung zu geben?
Dieses Vorgehen ist ein ganz normaler Weg. Es gab viele, die Andrea Nahles jetzt schon als kommissarische Vorsitzende wollten. Sie selbst wollte aber, dass der Parteitag frei entscheidet und hat Olaf Scholz als kommissarischen Vorsitzenden vorgeschlagen. Von einem Parteivorstand erwartet man zurecht, dass er schnell handelt, deshalb sollten wir jetzt nicht anfangen, demokratische Prozesse in Frage zu stellen.
Viele, wie die Jusos, verbinden mit Erneuerung den Wunsch, beim Vorsitz mitzureden?
Ich habe die Jusos gar nicht als diejenigen wahrgenommen, die das breiter diskutieren wollen. Manche in der SPD fordern die Möglichkeit einer Urwahl des Parteivorsitzes. Darüber haben wir bereits auf dem letzten Parteitag gesprochen und werden bis zum Bundesparteitag im Dezember prüfen, ob wir so etwas in Zukunft machen wollen. Es gibt berechtigte Vorbehalte: Es ist eine komische Situation, wenn ein Teil des Vorstandes per Urwahl bestimmt wird und der Rest auf einem Parteitag gewählt.
Die Mitglieder entscheiden zwar über die politische Zukunft Deutschlands, sollen aber nicht über den Vorsitzenden befinden?
Die Mitglieder entscheiden über den Vorsitz, indem sie Delegierte zum Bundesparteitag wählen.
Warum kann sich die SPD über ihre Erfolge in den Groko-Verhandlungen nicht freuen?
Wir müssen lernen, auch mal stolz zu sein auf das, was wir erreicht haben. Es liegt in der DNA der Sozialdemokratie, dass wir manchmal den Moment vergessen, in dem wir innehalten und uns über Erfolge freuen – weil wir schon wieder darüber nachdenken, was wir als nächstes erreichen wollen.
Medizinisch ist das interessant: Wie tauscht man eine DNA aus?
Da haben Sie mich erwischt: Ich bin kein Mediziner. Aber ich werbe in der SPD für mehr Mut und Selbstbewusstsein.
Wie viele Parteitage und Mitgliedervoten in so kurzer Zeit kann sich die SPD finanziell noch leisten?
Nach dem Sonderparteitag am 22. April wird noch genug Geld für die Erneuerung da sein – das ist die Hauptsache.