Der Sommermarkt der Unabhängigen Verlage steht unter dem Titel „Wetterleuchten“. Foto: 7aktuell.de/Gerlach

Am 23. Juli steht das Stuttgarter Literaturhaus ganz im Zeichen der unabhängigen Verlage. Ohne die Kleinen der Branche wäre die Welt der Bücher nur halb so schön.

Stuttgart - Die Literatur kennt Helden aller Art. Doch vielleicht sind die größten gar nicht immer die, von denen Romane erzählen, sondern jene mutigen Ermöglicher und kühnen Glücksritter, ohne deren Einsatz Bücher erst gar nicht zustande kämen. Es sind Leute wie der Verleger Heinrich von Berenberg, der mit schönen, klugen, sorgfältig gemachten schmalen Bänden abseits vom Mainstream nach Perlen taucht, zu denen beispielsweise die Trouvaillen des langjährigen Stuttgarter Homme de lettre Joachim Kalka zählen. Oder die beiden Geschwister Selma Wels und Inci Bürhaniye, deren Eltern Mitte der sechziger Jahre aus der Türkei nach Pforzheim kamen. Bei einem Besuch der Buchmesse in Istanbul fassten sie den Plan, eine Plattform für türkische Literatur in Deutschland zu schaffen. Seit 2011 macht ihr Berliner Binooki Verlag Autoren wie Oğuz Atay, Alper Canıgüz oder Yazgülü Aldoğan deutschen Lesern bekannt. Oder der Tübinger Verleger Hubert Klöpfer, der seit 25 Jahren das Gebiet der zeitgenössischen Literatur vom Südwesten her aufrollt.

Sie alle eint das Büchermachen aus Leidenschaft und nicht aus Berechnung. Alles, was vom publizistischen Gedröhne um die Marktführer übertönt wird, findet hier Gehör: leise, unbekannte Stimmen aus anderen Welt-, Gesellschafts- und Literaturregionen. Die kleineren, unabhängigen Verlag produzieren nicht für den Massenmarkt, sondern erhalten übergangene Kostbarkeiten für die Nachwelt, entdecken vergessen geglaubte Schriftsteller neu oder wagen sich an schwierigste Übersetzungen.

Buntes Spektrum

Höchste Zeit, dass auch in Stuttgart der mutige Einsatz der literarischen Überzeugungstäter ein Forum erhält, dieses breite Spektrum in allen Farben strahlen zu lassen. Unter dem Titel „Wetterleuchten“ lädt am 23. Juli das Literaturhaus zu einem Sommerfest, bei dem 40 Verlage aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich samt Autoren einen Querschnitt ihrer Arbeit präsentieren. Zwischen Bastelmittag für Kinder, Buchbindeworkshop und Mondgespräch sammelt sich ein buntes Literaturprogramm mit Prosa, Lyrik und Comic, ergänzt um Ausstellungen und lyrischen Paternosterfahrten. Fortan soll das „Wetterleuchten“ der Literatur jährlich stattfinden.

Viele Kleinverlage werden, sobald sie sich etabliert haben, von größeren geschluckt und unter deren Dach als sogenannter Imprint weitergeführt. Häufig werden die von ihnen entwickelten Autoren, kaum sind sie erfolgreich, von den Platzhirschen der Branche abgeworben. Doch der Transfer findet auch in umgekehrter Richtung statt. Die meisten der unabhängigen Gründer begannen ihre Laufbahn als Lektoren in einem der großen Häuser.

Klaus und Ida Schöffling, die den von ihnen 1993 gegründeten Frankfurter Verlag zu einem der Großen unter den Kleinen geführt haben, standen vorher in den Diensten von Luchterhand, Fischer und Suhrkamp. In diesem Jahr wurden gleich zwei Titel des Schöffling Verlag mit dem Leipziger Buchpreis bedacht, wie sich ohnehin immer häufiger Bücher der sogenannten Independents auf den Auswahllisten wichtiger Auszeichnungen finden. In der zehnjährigen Geschichte des Deutschen Buchpreises konnte etwa das kleine Salzburger Haus Jung & Jung bereits zweimal den besten Roman des Jahres beisteuern.

Kampf gegen literarisches Artensterben

Eine Reihe von Gründungen sind als Antwort auf die zahlreichen Fusionen im Verlagswesen entstanden. Wer die Arbeit mit Büchern liebt und über genügend professionelle Erfahrung verfügt, gelangt irgendwann an den Punkt, wo er sich umfassender, aber dafür mit weniger Büchern beschäftigen möchte, um sein Wissen und seine Kreativität direkter umzusetzen. Einer von ihnen ist der Gründer des Berliner Guggolz Verlag, dessen Herz für skandinavische und osteuropäische Autoren schlägt. Dank des früheren Matthes & Seitz-Lektors Sebastian Guggolz steht längst verstorbenen Autoren und Autorinnen wie dem Ungar Andor Gelléri, dem Finnen Frans Eemil Sillanpää oder der Norwegerin Amalie Skram auf dem deutschen Markt ihre Zeit erst noch bevor.

So schwer der Stand der Unabhängigen, so unverzichtbar ist ihre Funktion, das von Moden, Konzentrations- und Vereinheitlichungsprozessen bedrohte, existentielle Biotop der Literatur in seiner Vielfalt zu erhalten. Artensterben gibt es nicht nur im Reich der Natur, sondern auch im kulturellen Gedächtnis. Die kleinen Verlage stemmen sich dagegen, und koste es das eigene Vermögen. Fragt man Heinrich von Berenberg, ob er von seinem Geschäft leben könne, bekommt man die Antwort: „Wenn Sie davon leben wollen, müssen Sie etwas anderes verkaufen, Schuhe zum Beispiel, oder sich eine tolle App ausdenken.“ Immerhin wurde ihm im letzten Jahr der mit 25 000 Euro dotierte Hauptpreis der Kurt-Wolff-Stiftung zuerkannt, welche die vielfältige Verlags- und Literaturszene fördert.

Vom „Quizchampion“ zum eigenen Verlag

Einen anderen Weg der Finanzierung hat sich Sebastian Guggolz einfallen lassen. Er beteiligte sich im letzten Jahr an Johannes B. Kerners Show „Quizchampion“. Und weil der 33-jährige Literaturwissenschaftler anders als seine Promi-Gegner Tim Mälzer, Katrin Müller-Hohenstein und Jürgen von der Lippe die Redewendung „Mein lieber Schwan“ auf Richard Wagner zurückführen konnte, gewann er 250 000 Euro. Eine Summe, die er sogleich in die Übersetzung weiterer klassischer Werke der skandinavischen Literatur investierte.

Jüngst hat ein BGH-Urteil die kleinen Verlage in eine existenzbedrohende Lage gebracht. Anders als bisher soll die Verwertungsgesellschaft Wort ihre Einnahmen aus Urheberrechten künftig nicht mehr an die Verlage, sondern nur noch an Autoren ausschütten dürfen. Damit fallen wesentliche Einnahmen weg, manches kleine oder mittlere Haus steht am Rand der Insolvenz. Noch wird um eine vertretbare Lösung als Ersatz gerungen.

Was man bis dahin tun kann? Lesen. Unsere Zeitung führt von diesem Samstag an mit einer kleinen Reihe auf den „Wetterleuchten“-Tag hin. Kulturredakteure geben Tipps, welche Bücher ihres Lieblingsverlags in der Urlaubsbibliothek auf keinen Fall fehlen sollten. Die schönsten Entdeckungen locken abseits der ausgetreten Pfade.

Programm im Literaturhaus

Lesungen
: 40 Verlage und 20 Autoren. Den ganzen Tag über finden am 23. Juli Lesungen und Gespräche statt, unter anderen mit Nellja Veremej, David Wagner, Arno Camenisch und Saskia de Coster. Leonardo Padura stellt seinen Roman „Neun Nächte mit Violeta“ vor, und Joachim Kalka meditiert über den Mond.

Ausstellungen:
Natalie Wolf und Matthias Bumiller von der Stuttgarter edition totale éclipse setzen einen Hahnenkampf im Geflügelzüchtermilieu ins Bild. Der Literaturimaginist Jan Peter Tripp zeigt Radierungen zu Kafkas Kurzprosasammlung „Betrachtung“. Studierende der Kunstakademie haben im Paternoster des Literaturhauses Gedichte der Verlage visuell kommentiert.

Kinder
: Das Stuttgarter Projekt Leseohren aufgeklappt packt einen Koffer voller Bücher zum Schmökern, der Platz vor dem Literaturhaus wird zu einem großen Straßenmalbuch, selbstausgedachte Geschichten erwachen im Daumenkino zum leben.

Termin
: Samstag, 23. Juli, von 11 Uhr an. Der Eintritt für den ganzen Tag kostet 5 Euro.