Die Ankunft der Patienten aus Libyen 2013 am Stuttgarter Flughafen. Foto: Leif Piechowski

Der Skandal um die International Unit (IU) des städtischen Klinikums zieht weitere Kreise. Ein Gutachten zu den Geschäften mit lybischen Patienten und einem Beratungsvertrag mit Kuwait empfiehlt die Kündigung des IU-Chefs und der fürs Controlling zuständigen Direktorin.

Stuttgart - Der an Überraschungen reiche Skandal um die Auslandsabteilung des Klinikums hat am Freitag eine weitere Wendung bekommen. In nicht öffentlicher Sitzung stellte die Anwaltskanzlei BRP Renaud und Partner dem Krankenhausausschuss den Bericht ihrer monatelangen Untersuchungen zur IU vor. Der zeigt: Die Rechtsverstöße bei dem Geschäft mit libyschen Patienten und einem Beratungsvertrag mit Kuwait waren schwerwiegender als gedacht.

Erneut im Fokus: der bereits freigestellte Leiter der IU, Andreas Braun. Bei dem Vertrag für die Behandlung von gut 300 Kriegsversehrten aus Libyen 2013, bei dem das Klinikum auf Forderungen von 9,4 Millionen Euro sitzen geblieben ist, traf der frühere Landesvorsitzende der Grünen offenbar umfangreiche „Nebenabreden“ mit drei „Vermittlern“. Die Vereinbarungen zu deren Gunsten, es ging um Provisionen in Höhe von 30 Prozent des Vertragsvolumens von rund 26 Millionen Euro, wurden bewusst nicht in den offiziellen Kooperationsvertrag aufgenommen. Das belegen E-Mail-Kontakte.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs

Teil der Vorauszahlung der libyschen Seite an das Klinikum waren auch „Regiekosten“ etwa für die Unterbringung und Verpflegung der Patienten im Hotel. Nur gab es auch dafür keine vertragliche Grundlage. Dokumente dazu wie zu Vermittlerprovisionen wurden später erstellt und zurückdatiert. Wie die 13,5 Millionen Euro, die an Regiekosten vom Klinikum gezahlt wurden, tatsächlich verwendet wurden, ist nicht nachgewiesen. Die Kanzlei hat starke Zweifel, dass von den 5,9 Millionen Euro, die an den Deutsch-Palästinenser Nabel Abu-Rikab ausgezahlt wurden, 4,2 Millionen Euro als Essens- und Taschengeld an die libyschen Patienten gegangen ist. Gegen Abu-Rikab ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrugs. Auch für Überweisungen an sieben weitere Firmen, die verdeckt erfolgten, fehlen Tätigkeitsnachweise. So im Fall der Lybia Consulting & Logistic und des Arab-German-Center, die in Verbindung mit dem Vermittler Khalil stehen und an die 1,1 Millionen Euro gezahlt wurden.

Gutachter sprechen von „schwarzen Kassen“

Es ist in dem Bericht von „schwarzen Kassen“ bei der IU und einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht die Rede. Vor geraumer Zeit sprach Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) von „Bestechung“. Zu den Nebenabsprachen war IU-Leiter Braun nicht autorisiert, nach jetzigem Stand hat er dies nicht mit seinen Vorgesetzten abgesprochen. Aufgrund der umfangreichen Pflichtverletzungen sieht die Anwaltskanzlei eine fristlose Kündigung für geboten.

Aber nicht nur dem IU-Leiter werden gravierende Pflichtverletzungen vorgehalten. Dies gilt auch für den früheren Ärztlichen Direktor Jürgen Graf, der heute Chef des Frankfurter Uniklinikums ist, und für Antje Groß, die für das Controlling und die Finanzen zuständige Direktorin. Beide sollen früh gewusst haben, dass die entstandenen Kosten für die libyschen Patienten nicht mehr durch Vorauszahlungen gedeckt waren. Dennoch sollen sie hohe sechsstellige Zahlungen ohne Rechtsgrundlage gezeichnet und zugelassen haben, dass weitere Patienten behandelt wurden. Bei Antje Groß, die noch in Diensten des Klinikums steht, plädieren die Gutachter für eine Trennung.

Das Kuwait-Geschäft lief von Anfang an schlecht

Beim gescheiterten Beratergeschäft mit dem Gesundheitsministerium von Kuwait tauchen im Bericht von BRP Renaud und Partner auch die Namen des früheren Geschäftsführers Ralf-Michael Schmitz und des damaligen Ärztlichen Direktors Claude Krier auf. Ziel war es, das Al Razi Krankenhaus in Kuwait mit fünf Orthopäden aus dem Klinikum zu unterstützen. Schon zwei Monate nach Vertragsunterzeichnung im Frühjahr 2014 war den Verantwortlichen offenbar klar, dass für das Klinikum vom Vertragsvolumen von 46 Millionen Euro nicht viel würde übrig bleiben. Die erneut verdeckt einkalkulierten Provisionen machten 20 Millionen Euro aus. Von Anfang an gab es Probleme, weil das Klinikum die vereinbarten Leistungen nicht voll erbringen konnte. Man hatte versäumt, im eigenen Haus zu klären, wer auf Zeit nach Kuwait wollte und musste ein Unternehmen beauftragen, das extern Ärzte suchen sollte.

Provisionen, ohne dass Leistungen erkennbar wären

Von den Provisionen gingen 12,6 Millionen Euro an das Kuwaitische Unternehmen Aryak, Leistungen wurden nicht ermittelt. Am Zahlungsplan waren Ralf-Michael Schmitz und Jürgen Graf beteiligt. Der Vertrag war in arabischer Sprache verfasst, Gerichtsstand Kuwait, die englische Übersetzung nicht identisch mit der arabischen Version. Die Einwände einer Anwaltskanzlei wurden von den Verantwortlichen ignoriert.

Zu den Sachverhalten hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Schreiben der Kanzlei BRP Renaud und Partner erhalten. Man prüfe, ob die bisherigen Ermittlungen „um Tatvorwürfe und Personen erweitert werden“, sagte Pressestaatsanwalt Jan Holzner auf Anfrage. Gegen Andreas Braun wird derzeit wegen Umsatzsteuervergehen ermittelt. BRP hatte keinen Zugriff auf den E-Mail-Verkehr von Ralf-Michael Schmitz.

Die Abteilung ist als eigenständige Einheit aufgelöst

Krankenhausbürgermeister Michael Föll betont, dass man inzwischen alles getan habe, „dass die Behandlung von ausländischen Patienten völlig ordnungsgemäß abläuft und solche Abenteuer ausgeschlossen sind“. So wurde die International Unit als eigenständige Einheit aufgelöst.

„Abgründe tun sich auf“, sagte SPD-Fraktionschef Martin Körner nach der Ausschusssitzung. Seine Fraktion werde nach der politischen Verantwortung der beiden vorherigen grünen Krankenhausbürgermeister Klaus-Peter Murawski und Werner Wölfle fragen. Murawski, der heute Staatsminister von Winfried Kretschmann ist, habe seinen Parteifreund Andreas Braun auf den Posten im Klinikum geholt und ihn dort gefördert. Am 24. Februar wird sich der Rat weiter mit den Vorgängen befassen.