Die Sänger der App-Stream-Singers sind locker drauf und gut gelaunt. Foto: Werner Kuhnle

Wie viel Freude es machen kann, im Chor zu singen, zeigt der Probenverlauf bei den Affalterbacher App-Stream-Singers. Der vorläufig Letzte vor der Corona-Krise.

Affalterbach - Es ist ein normaler Proben-Abend vor drei Wochen. Und doch findet an dem Donnerstag kein ganz gewöhnliches Treffen der Affalterbacher Chormitglieder statt. Die latent lauernde Gefahr des Coronavirus hat vermutlich auch einige App-Stream-Singers abgeschreckt: Denn von den 26 Chormitgliedern sind lediglich knapp zwei Drittel anwesend. Das zeigt sich besonders bei den Bass-Stimmen, die normalerweise zu dritt sind. An dem Abend ist Bernd Kühne, der auch die Funktion des Vorstands innehat, der einzige Vertreter der tiefsten Stimmlage. Doch er hat Glück. Sein Sitznachbar, ein Tenor, unterstützt ihn spontan, wenn die Bassstimme gefordert ist.

Doch zuerst geht es ans Kopfkreisen. Chorleiter Tobias Merkle steht vor den Sängern und lässt sie sich erheben. Die sind bereits an das Einstiegs-Zeremoniell bei den wöchentlichen Proben gewöhnt. „Schultern anspannen und loslassen“, lautet eine Übung, die Lockerung bringen soll und die schließlich von relaxten Gähn- und Stöhn-Lauten abgelöst wird. Mit „Sosasosasosaso“ heißt es kurz darauf, die Tonleiter rauf und runter singen. Weitere Vokale- und Konsonantenduos ertönen im Raum: Etwa „Momomomomom“ oder „Jaso“, bei dem auf ein stimmhaftes „s“ geachtet werden soll. Die Kehlen der Anwesenden öffnen sich zu einer Art Gesang, der tempomäßig an- und abschwillt. Tobias Merkle hat allerhand stimmbildende Übungen und Herausforderungen in petto: Auch die sogenannten Solemisationssilben „do-re-mi-fa-sol-la-ti“, die in Verbindung mit Handzeichen benutzt werden. Das sieht lustig aus und erinnert an Polizisten im Straßenverkehr.

Überhaupt geht es heiter und gelöst zu. Das liegt nicht nur an dem Lied, das als erstes auf dem Übungsprogramm steht: „Ein Mensch ist kein Mensch ohne Handy“, sondern auch an der lockeren Atmosphäre, die Chorleiter Merkle verbreitet. Jede Stimmlage soll den neuen Song abschnittweise üben und verinnerlichen. Der Bass beginnt, die Tenöre übernehmen; der Alt folgt und die Soprane warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Das Einüben neuer Gesangspassagen klappt erwartungsgemäß nicht immer stolperfrei. Merkle kommentiert dies mitunter auf witzige Art: „Das kann man so singen, klingt ganz gut – ist aber falsch“, korrigiert er den Versuch der Soprane. Kichern macht sich breit. Merkle lässt den Abschnitt langsam und überdeutlich im Singsprech wiederholen, damit der Text akkurat zu den Noten passt.

Und natürlich steht ihm auch das Klavier bei seiner Aufgabe bei: Mit dessen Hilfe gibt Merkle die Melodie vor, die eingeübt werden soll. „Einfach mal hören – Ihr könnt ja mitsummen“, lautet sein Vorschlag, der angenommen wird. Doch Merkle singt auch selbst– und zwar in allen Stimmlagen, denen er den Anfangston vorgibt. Erstaunlich hoch schwingt sich dabei schon mal die Stimme des 37-jährigen Chorleiters, der weiß, dass der harmonische Stimmen-Mix die eigentliche Klang-Schönheit erzeugt.

„Wir checken noch einmal die Stellen, wo sich die Stimmen splitten“, teilt er dem Chor wenig später mit. Da ist die Stimmengemeinschaft schon beim Proben des Queen-Medleys, das sich im Repertoire der App-Stream-Singers befindet. „Wie ist der Anfangston?“, lautet die Frage des Chorleiters, der daran erinnert, dass dieser für die Altstimmen „relativ hoch“ sei. Doch die vier Frauen haben ihn sofort gefunden. Auf Merkles Gesicht zeigt sich ein zufriedenes Lächeln.

Bei „We will rock you“ pulsiert der Fuß des Dirigenten rhythmisch mit, während er oben in die Tasten drückt. Die Sänger übernehmen den Rhythmus, doch Merkle hebt die Hand. „Ihr habt ein bisschen angefangen zu komponieren“, unterbricht er die Singenden, denen er auf eigenwillige Weise auch Mut macht: „Die Töne waren falsch, aber die Intention ist super. Noch einmal bitte mit derselben Power“, motiviert Merkle den Chor, der daraufhin kurzerhand stehend übt und sogar durch den Raum geht.

Bei „We are the Champions“ beweist Merkle erneut, wie exakt er hört: „Der letzte Ton hängt durch“, signalisiert er dem Chor und lässt bei der Probe viel Gelächter und Spaß zu. Das zeigt sich auch bei der Tennis-affinen Unterrichtsweise. Ist ein besonders hoher Ton erforderlich, vergleicht er den Vorgang etwa mit dem Aufschlag des früheren Tennisspielers Ivan Lendl. „Anspannen und Entspannen“, lautet die Devise. Überhaupt sind es die bildhaften Vergleiche, die den Chorleiter charakterisieren: „Zieht den Ton wie einen geraden Faden oder wie einen Sessellift. Wenn mein Einsatz kommt, dann klinkt ihr eure Gondel ein“, rät Merkle, der kurz darauf kess kontert: „Oh, jetzt ist die Kabine gleich wieder runtergefallen.“

Die App-Stream-Singers wünschen sich sehnlichst Verstärkung. Denn wie bei den meisten Chören in Deutschland sind die Männer auch bei der Affalterbacher Chorgemeinschaft Mangelware. Im Tenor singen gerade mal vier Mitglieder. Und die werden sogar von einer Frau unterstützt: von Beate Reichle.