Christoph Kaiser will ein großes Wohnhaus verhindern: „Der Bauklotz passt überhaupt nicht in die Siedlung“ Foto: factum/Simon Granville

Ein Investor plant in einer gehobenen Wohnsiedlung in Sindelfingen ein Mehrfamilienhaus. Die Einwohner wollen keine großen Mehrfamilienhäuser und protestieren dagegen. Was ist wichtiger: die Bewahrung einer Wohngegend oder neue Wohnungen für Mieter?

Sindelfingen - Es lässt sich schön leben in der Wohnsiedlung Sandgrube im Sindelfinger Norden. Wenn die meisten der 179 Bewohner aus dem Fenster schauen, sehen sie Gärten so groß wie Spielplätze. Kinder kicken Bälle auf der Straße, und Einfamilienhäuschen reihen sich in lockerer Folge aneinander. Dass das in Zukunft so bleibt, darum sorgen sich die Einwohner. Ein Investor plant den Bau eines Mehrfamilienhauses für sieben Parteien. Das Ende der Idylle, befürchten Menschen wie Christoph Kaiser.

„Ich will keine Riesenbauten in der Nachbarschaft“, sagt er. Der 54-Jährige bezeichnet sich selbst als Asterix einer Bürgerinitiative, die den „Charakter der Wohnsiedlung“ erhalten will. 2018 erwirkte die Gruppe bei der Stadt einen Baustopp. Seitdem wird in Sindelfingen diskutiert: Was wiegt schwerer – das Recht auf luxuriöses Wohnen oder zusätzlicher Wohnraum angesichts mangelnder Flächen?

Konkret geht es um einen neuen Bebauungsplan für die Siedlung. Bislang gilt der Plan aus dem Jahr 1961. Der sieht vor, dass in manchen Straßen ein-, auf anderen zweigeschossige Häuser stehen. Dazu herrscht ein Mindestabstand von vier Metern zwischen den Gebäuden. So präzise sich das für einen Laien anhört, so viel Spielraum lässt das beim Bauen zu, findet die Bürgerinitiative. Wie groß darf die Wohnfläche maximal sein? Zählen der Keller und das Dachgeschoss als Etagen dazu? Wie müssen Häuser zueinander stehen?

Eigentlich ein Grundstück für 15 Wohnungen

Als vor einigen Jahren ein Bürger aus der Wohnsiedlung starb, verkauften die Angehörigen das Grundstück an den Investor BB Wohnbau in Böblingen. Das Bauunternehmen ließ das bestehende Gebäude abreißen und plant auf einem 1350 Quadratmeter großen Grundstück ein zweistöckiges Wohnhaus mit Platz für sieben Wohnungen. „Eigentlich baut man auf so einer Fläche Häuser für 15 Wohnungen“, sagt die BB-Geschäftsführerin Bärbel Falkenberg-Bahr. Aufgrund des alten Bebauungsplanes erteilt die Stadt dem Unternehmen eine Bauerlaubnis. Doch die Bürgerinitiative klagt dagegen, die Stadt verkündet darauf in der Wohnsiedlung einen Baustopp.

„Der Bauklotz passt überhaupt nicht in die Siedlung“, sagt Christoph Kaiser. Der Zahntechniker selbst wohnt neben der Baubrache in einem 140 Quadratmeter großen Haus, das sein Vater nach dem Krieg gebaut hat. Wie bei anderen auch, besetzt das Haus etwa ein Drittel der Grundstücksfläche. Großes Haus, noch mehr Grün drumherum.

2017 formulierten Kaiser und die Bürgerinitiative Forderungen an die Stadt, wie ihre Nachbarschaft in Zukunft aussehen solle: niedrige, eingeschossige Häuschen. Grenzabstand der Gebäude von vier Metern. Keine Tiefgaragen. Die führten dazu, dass Straßen vor den Häusern zugeparkt würden, sagt Kaiser.

Neuer Bebauungsplan soll entstehen

Die Bauinvestorin Falkenberg-Bahr sieht darin eine reine Verhinderungstaktik. „Wir schaffen Wohnraum und werden von A bis Z blockiert“, sagt sie aufgeregt. „Alle wollen bezahlbaren Wohnraum. Der kommt aber nur, wenn ausreichend Wohnungen gebaut werden.“

Wie so oft bei derlei Konflikten, wenn sich persönliche mit öffentlichen Interessen mischen, ist die Situation für die Stadt Sindelfingen nicht einfach. In Sandgrube wollte sie auf den sechs freien Flächen dringend gebrauchten Wohnraum zur Verfügung stellen. Der Bedarf nach hochwertigen Wohnungen ist gestiegen. „Auch Einzelpersonen und Paare wollen heute im Grünen leben“, sagt die Baubürgermeisterin Corinna Clemens. Die Menschen suchten keine ganzen Häuser, sondern gut geschnittene Wohnungen.

„Wir haben nichts gegen neue Wohnungen“, entgegnet Christoph Kaiser. Er könne sich gut Häuser für drei bis vier Familien vorstellen. Seine Gegend dürfe aber nicht zubetoniert werden.

Um eine Entscheidung herbeizuführen, will die Stadt den neuen Bebauungsplan gemeinsam mit der Bürgerinitiative erarbeiten. Auf der Basis von Planungsgrundsätzen, die eine Agentur erarbeitet hat, sollen verschiedene Ziele erreicht werden. Dazu zählen der „Erhalt des Gebietscharakters“ oder eine „moderate Nachverdichtung“. Mögliche Streitpunkte stecken dann in den Details. „Ohne Tiefgaragen kommen wir nicht hin“, sagte bei der vergangenen Gemeinderatssitzung Michael Paak von der Stadtplanung. In den nächsten Wochen will die Stadt ihre Pläne den Menschen in der Wohnsiedlung vorstellen. Danach soll es in einem Dialog weitergehen. „Das geht bestimmt noch Monate“, sagt Christoph Kaiser.

Die BB Wohnbau will auch ohne den Bebauungsplan bauen. „Die Entscheidung fällt das Gericht. Der neue Bebauungsplan spielt keine Rolle“, sagt Falkenberg-Bahr.