Die Künstlerin Viktoria Modesta geht offensiv mit ihrer Prothese um: Videos von ihr sind in der Ausstellung im Herbst zu sehen. Foto: Viktoria Modesta_HERO

Vor 30 Jahren wagte die Automobilstadt die Eröffnung eines Museums für zeitgenössische Kunst. Heute genießt die Einrichtung einen guten Ruf – dank der engagierten Vermittlungsarbeit der Galerieleiter und trotz klammer Finanzen.

Sindelfingen - Wenn es in Sindelfingen eine Konstante gibt, dann ist es das Auf und Ab bei den Finanzen. Die Stadt, die am Gewerbesteuertropf des Mercedes-Benz-Werks hängt, ist geübt im Achterbahnfahren. Geht es dem Autobauer gut, dann sprudeln in der Stadt die Millionen. In Zeiten von Finanzkrisen ist das Stadtsäckel leer. Dann heißt es: Geld wird nur für unbedingt Notwendiges ausgegeben. Kultur gehört nur selten dazu.

Und so nimmt es die Chefin der Städtischen Galerie, Madeleine Frey, relativ gelassen, dass die Stadtverwaltung ihr ausgerechnet im Jahr des 30-jährigen Bestehens der Galerie den Etat wieder einmal kürzt. Sie weiß, dass es ihrem Vorgänger Otto Pannewitz, der das Haus vor 30 Jahren übernommen und aufgebaut hat, zeitweise noch viel schlimmer traf. Im Jahr 1994, vier Jahre nach der fulminanten Eröffnung der Galerie mit dem Schwerpunkt zeitgenössische Kunst, strich ihm die Stadtverwaltung den Etat komplett. „Mit null Euro habe ich damals dank Sponsoren trotzdem bedeutende Ausstellungen organisiert“, hatte Pannewitz beim 25-Jahr-Jubiläum erzählt.

Zuschuss vom Bund

Auch Madeleine Frey ist findig, wenn es darum geht, Geldquellen aufzutun. Stolz ist sie darauf, dass eine ganz besondere Ausstellung zum 30-jährigen Bestehen der Galerie durch die renommierte Bundeskulturstiftung gefördert wird. „Schon die Kriterien, damit der Antrag angenommen wird, sind unglaublich hoch“, sagt die Galeriechefin. „Und wir mit unserem Mini-Team haben es gleich im ersten Anlauf geschafft, einen Zuschuss zu bekommen.“ 85  000 Euro überweist die Kulturstiftung des Bundes nach Sindelfingen, weitere 40 000 Euro kommen von der Baden-Württemberg-Stiftung.

Insgesamt 180 000 Euro kostet die große Schau anlässlich des 30-Jährigen. „Beyond the pain“ ist ihr Titel, frei übersetzet etwa „den Schmerz überwinden“. „Ich wollte für die Schau ein Thema, das alle Menschen anspricht. Und Schmerz kennt jeder in irgendeiner Form“, sagt Frey. Bezüge habe dieser Titel durchaus auch zur Situation der Galerie, die immer wieder schmerzvolle finanzielle und personelle Einschnitte erlebt habe. „Gleich bei der ersten Krise in den 1990er Jahren wurde das Personal gekürzt und seither nie wieder aufgestockt“, erzählt Frey. Sie arbeitet momentan mit einem festangestellten Volontär und wechselnden Praktikanten. Hausmeister und Techniker teilt sie sich mit anderen Institutionen.

Performerin mit Prothese

Bekannte Künstler haben Frey für „Beyond the pain“ zugesagt. Beispielsweise das lettische Model Viktoria Modesta, auch bekannt als Singer-Songwriterin und Performancekünstlerin, die sich wegen starker Schmerzen ein Bein amputieren ließ. Ihre Modelkarriere setzt sie mit einer Prothese fort.

Spannend ist auch ein Projekt der Londoner Recherche-Agentur Forensic Architecture gemeinsam mit Amnesty International. Die Partner haben mit Häftlingen gearbeitet, die in dem syrischen Dunkelgefängnis Saydnaya gefoltert worden waren. „Das Gefängnis ist vollkommen dunkel, sodass die Gefangenen nichts sehen können und auch nicht beschreiben können, wo sie inhaftiert warten. Und was man nicht sieht, das gibt es nicht“, erklärt Madeleine Frey. Die englischen Forscher schafften es durch Interviews mit Überlebenden, die ihre akustischen Erinnerungen an Schritte, Wassertropfen, Türenschlagen weitergaben, das Gefängnis virtuell zu rekonstruieren.

Zum Jubiläum wird es multimedial

Andere Künstler der Ausstellung beschäftigen sich mit Themen wie körperliche Grenzerfahrungen oder Sadomasochismus. Neben dieser großen Schau, die im Oktober beginnt, wird im Juni eine multimediale Jubiläums-Ausstellung eröffnet. Gezeigt werden Interviews mit dem früheren Kulturamtschef Dieter E. Hülle und dem langjährigen Galerieleiter Otto Pannewitz, der gemeinsam mit dem Verein „Kunst und Projekte“ um Ingrid Burgbacher-Kupka zahlreiche spektakuläre Ausstellungen mit international renommierten Künstlern organisiert hat.

Der Kulturamtschef Horst Zecha, der den Aufbau der Galerie von Anfang an miterlebt hat, ist stolz auf die Einrichtung. „In einer Stadt wie Sindelfingen, die nicht per se kunstaffin ist, eine Galerie mit dem Profil auf moderne Kunst 30 Jahre zu halten, zeugt von der guten Arbeit.“