Joe Kaeser ist am Ziel: Nach einem beispiellosen Machtkampf übernimmt der Siemens-Finanzvorstand den Chefposten bei Deutschlands größtem Elektrokonzern und löst den gescheiterten Peter Löscher ab. Auf Kaeser wartet eine Reihe von Baustellen.

München - Der Elektrokonzern Siemens will mit seinem neuen Chef Joe Kaeser die tiefe Führungskrise überwinden. Der Aufsichtsrat ernannte Kaeser am Mittwoch in München zum Nachfolger des gescheiterten Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher, der über eine Serie von Rückschlägen und zuletzt über eine neuerliche Gewinnwarnung gestürzt war.

Löscher wollte sein Amt mit Tagesablauf niederlegen. Er scheide "in gegenseitigem Einvernehmen" aus dem Vorstand aus, erklärte Siemens.

Kaeser muss die vielen Probleme bei Siemens nun sehr rasch in den Griff bekommen. Nach seiner Berufung zum neuen Chef erklärte er: "Unser Unternehmen ist bestimmt nicht in einer Krise und auch kein Sanierungsfall. Wir haben uns zuletzt aber zu viel mit uns selbst beschäftigt und etwas an Ertragsdynamik gegenüber dem Wettbewerb verloren." Sein erklärtes Ziel sei nun, Siemens in ruhiges Fahrwasser zurückzuführen "und ein Hochleistungsteam zu formen".

Löscher bedankte sich nach seinem erzwungenen Abschied in einer persönlichen Erklärung bei seinen Unterstützern. Er schließe darin neben der Familie Siemens die Mitglieder des Aufsichtsrats ein, die ihn nicht nur seit Amtsantritt, "sondern gerade auch in den vergangenen Monaten ausdrücklich unterstützt haben und sich in mehreren Gesprächen mit mir meinen Verbleib an der Spitze des Unternehmens gewünscht haben", schrieb der Manager. Er sei aber zu dem Schluss gekommen, dass eine vertrauensvolle Basis für seine Arbeit "nicht mehr gegeben sei."

Löscher hatte mit Pannen zu kämpfen

Der Führungswechsel galt als ausgemachte Sache, nachdem sich die Aufsichtsräte von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bereits am vergangenen Wochenende mehrheitlich auf die Personalien verständigt hatten. Löscher hatte immer wieder mit Pannen zu kämpfen wie die verspätete Lieferung von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn und Verzögerungen bei der Anbindung von Windparks auf See. Massiv unter Druck geriet der 55-jährige Österreicher am vergangenen Donnerstag durch die zweite Gewinnwarnung in nicht einmal drei Monaten.

Auch im dritten Geschäftsquartal lief es für Siemens nur durchwachsen. Zwar zogen die Bestellungen zwischen April und Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum kräftig an, Umsatz und operativer Gewinn gingen dagegen zurück. Weil Siemens vor kurzem seinen Anteil am ungeliebten Tochterunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) losschlagen konnte und die nun selbstständige ehemalige Licht-Tochter Osram etwas Geld abwarf, gab es unter dem Strich ein Gewinnplus von 43 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro, wie Siemens mitteilte.

Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat forderten zum Führungswechsel ein Ende der Personalquerelen bei dem Elektrokonzern. "Es geht nicht um Einzelpersonen und Interessen, sondern um das Wohl des Konzerns und seiner Mitarbeiter und eine langfristige und kreative Unternehmensperspektive", sagte Jürgen Kerner, der für die IG Metall im Siemens-Aufsichtsrat sitzt, der Nachrichtenagentur dpa in München. Siemens sei "alles andere als ein Sanierungsfall. Die beiden zurückliegenden Jahre brachten den höchsten Gewinn der Unternehmensgeschichte."

Trotzdem sei Siemens ins Ungleichgewicht geraten, "und der Hauptgrund dafür ist die Ausrichtung des Konzerns nach einem abstrakten und überzogenen Renditeziel." Dadurch habe man den Konzern und seine Mitarbeiter dem noch stärkeren Druck der Finanzmärkte ausgesetzt. "Dieser Schuss ist nach hinten losgegangen", beklagte Kerner.