Pubertät ist, wenn Erwachsene schwierig werden: Tanya Reynolds (links) als Lily und Patricia Allison als Ola in der zweiten Staffel von „Sex Education“ Foto: Netflix

Mehr obskure Sexualpraktiken, mehr schrullige Teenager, mehr unaufgeklärte Eltern: Was taugt die zweite Staffel der britischen Netflix-Serie „Sex Education“?

Stuttgart - Ist Sex mit Früchten pervers? Liegt man über oder unter dem Durchschnitt, wenn man sich 17 Mal am Tag selbstbefriedigt? Was sind Chlamydien, und wie kriegt man das? Und wie bereitet man sich am besten auf unfallfreien Analverkehr vor? Willkommen zurück in der wunderbaren Welt der Körperflüssigkeiten, willkommen zurück in der schrulligen Welt der TV-Serie „Sex Education“, die wieder kein Blatt vor den Mund nimmt. Die acht Episoden der zweiten Staffel der britischen Comedyserie sind von Freitag, 17. Januar, an bei Netflix verfügbar.

Zur Erinnerung: Im Mittelpunkt der Serie steht Otis (Asa Butterfield), der auf die Moordale Secondary School geht und Sohn einer Sextherapeutin (Gillian Anderson) ist. Das hat zur Folge, dass auch Otis unfreiwillig ein Sexexperte ist – allerdings nur in der Theorie und nicht in der Praxis. In der ersten „Sex Education“-Staffel eröffnete er mit seiner Mitschülerin Maeve (Emma Mackey) auf einer alten Schultoilette eine Art Sexklinik, gab verzweifelten Teenagern mehr oder weniger gute Ratschläge, verliebte sich gleich mehrfach und unternahm eher lustlos einige erste erotische Annäherungsversuche.

Wie geht Dirty Talk?

In der zweiten Staffel hat er sich in eine adoleszente Hormonbombe verwandelt, hat Sex aber nur mit sich selbst und nicht mit seiner Freundin Ola (Patricia Allison). Maeve – eigentlich Otis’ große Liebe – verkauft nun Brezeln in einem Supermarkt, und der grimmige Rektorensohn Adam (Connor Swindells), der am Ende der ersten Staffel erkannte, dass er vielleicht schwul ist, wurde von seinem Vater in eine Militärakademie gesteckt.

Auch wenn sich die Ausgangsposition etwas geändert hat, weiterhin geht es in „Sex Education“ um das seltsame Paarungsverhalten geschlechtsreifer Kleinstädter. Denn jeder scheint hier ein Sexproblem zu haben. Nicht nur die Teenager, die Opfer einer Chlamydien-Hysterie werden, unter der Größe ihrer Geschlechtsorgane leiden oder wahlweise glauben zu viel oder zu wenig Sex zu haben. Auch bei den Erwachsenen besteht Aufklärungsbedarf. Da ist zum Beispiel der Biolehrer Mr. Hendricks (Jim Horwick), der nicht weiß, wie Dirty Talk geht, und da ist die Rektorengattin Mrs. Groff (Samatha Spiro), die glaubt, das die Vagina nach Jahre langer sexueller Abstinenz nicht mehr funktionstüchtig ist. Es gibt also viel zu tun für Otis und seine Mutter, die nun an Otis‘ Schule als Aushilfstherapeutin kluge Ratschläge gibt und somit die Konkurrentin ihres Sohns wird.

Oswalt Kolle lässt grüßen

Wieder entzückend verziert mit den Songs Ezra Furmans erweist sich auch Staffel zwei von „Sex Education“ als das knallige britische Gegenstück zum etwas düsterer daherkommenden US-Seriendrama „Euphoria“. Ganz mit der ersten Staffel kann die Fortsetzung aber nicht mithalten. Weil man sich zum einen immer wieder wie im Aufklärungsunterricht vorkommt und zum anderen weil die zweite Staffel sich ein bisschen zu sehr an Highschool-Komödien-Klischees abarbeitet. Etwa wenn sich herausstellt, dass der Supersportler Jackson (Kedar Williams-Stirling) eigentlich davon träumt, Schauspieler zu werden und die Rolle des romantischen Helden in der „Romeo und Julia“-Musical-Schulproduktion übernimmt. Oder wenn der coole französische Austauschschüler Rahim (Sami Outalbali) ausgerechnet dem Paradiesvogel Eric (Ncuti Gatwa) den Hof macht.

Spermaflecken auf der Jeans

Trotzdem ist die Serie immer noch eine wunderbar abstruse, gerne auch mal sperrig-spröde Komödie voller peinlicher Zwischenfälle und kurioser Figuren, die trotz aller Demütigungen nie wirklich der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Und als heimliche Heldin der zweiten Staffel erweist sich ausgerechnet Aimee (Aimee Lou Wood), die lange Zeit wie das sexuell völlig unverkrampfte Vorzeige-Dummerchen der Serie wirkte. Als sie im Bus sexuell belästigt wird, tut sie zwar zunächst so, als ob sie nichts daran findet, hält sich tapfer am selbst gebackenen pinken Geburtstagskuchen fest und scheint sich nur darum zu sorgen, ob die Spermaflecken aus ihrer Lieblingsjeans wieder rausgehen. Doch spätestens als sie sich am nächsten Tag nicht mehr in den Bus wagt, wird deutlich, dass da mehr mit ihr passiert ist. Aimees Geschichte, die von weiblicher Selbstbestimmung und Solidarität erzählt und die – Achtung Spoiler! – damit enden wird, dass sie sagt: „Ich glaube, ich bin jetzt bereit für eine Umarmung“, ist das eigentliche Herzstück der zweiten Staffel von „Sex Education“.

Alle acht Episoden der zweiten Staffel von „Sex Education“ sind von Freitag, 17. Januar, an bei Netflix verfügbar.