Anne Lister (Suranne Jones, re.) sprengt die Konventionen ihrer Zeit.Foto:Sky/BBC Foto:  

Die Serie„Gentleman Jack“ auf Sky erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau im männerdominierten 19. Jahrhundert. Das Besondere: Die von Suranne Jones gespielte, offen lesbische Anne Lister hat wirklich gelebt.

Stuttgart - Film und Fernsehen stecken tief im Zwiespalt: Die mit Milliarden jonglierende Branche grübelt, wie sie Frauen nach vorne bringen kann, ohne dass die Männer an Macht verlieren. Ein Rezept lautet: Selbstbewusste, durchsetzungsstarke, liberale Figuren mit der Kraft zur femininen Handlungsgestaltung als Thema von Filmen und Serien fördern, statt sie in die Chefetagen zu holen.

Angesichts all der Wanderhuren und Ketzerbräute, der Margarethe Steiffs und Bertha Benzens auf dem Bildschirm, mit denen das Fernsehen die Gleichberechtigungskämpfe fiktional weichzuspülen versucht, ist also Obacht geboten, wenn eine Frau wie Anne Lister, die Heldin der Serie „Gentleman Jack“ bei Sky, Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Mann steht. Gern spielt die Filmbranche mit der Mär vom Weibe, das sich bereits in grauer Vorzeit durchsetzen konnte, den Ball an die Frauen zurück: Was wollt Ihr denn, hat doch damals schon geklappt mit der Emanzipation, lautet dann der Subtext.

Auffallend selbstbewusst

Doch auch wenn der gewöhnliche fiktionale historisierte Feminismus heillos übertrieben ist – Anne Lister, die Landbesitzerin im Yorkshire anno 1832, war laut Aussage zahlloser Tagebücher und Zeitzeugenberichte in Realität so, wie die HBO-Serie „Gentleman Jack“ sie beschreibt: auffallend selbstbewusst, durchsetzungsstark, liberal, vor allem aber flamboyant.

Ein paar Jahre später drehte das viktorianische Zeitalter die pragmatische Aufweichung alter Rollenmuster der industriellen Revolution wieder zurück und degradierte Frauen zu Arbeitsbienen oder Gebärmaschinen. Da wäre dieser Freiheitsdrang bereits unmöglich gewesen. Doch auch in der Übergangsphase war das, was Anne Lister bis heute zur Ikone der LGBTQ-Szene macht, die Ausnahme. Sie lebte ihre Homosexualität nicht nur offen aus, sondern heiratete die benachbarte Gutsherrin Ann Walker.

Wunderbar kernig

Diese durch und durch erhabene Lovestory erzählt die Showrunnerin Sally in acht Folgen mit herausragenden Darstellerinnen: Suranne Jones („Scott & Bailey“) verleiht ihrer Titelfigur eine wunderbar lakonische Kernigkeit. Mit Zylinder und Cowboy-Gang leitet Lister das Familiengut resoluter als jeder Kerl.

Damit bildet sie ein glaubhaftes Gegenstück zur scheuen Ann Walker von Sophie Rundle („Peaky Blinders“), der die lesbischen Gefühle zunächst fast so ebenso unheimlich sind wie Annes Schwester Marian. Die wird von Gemma Whelan gespielt, die Marian eine so wütende Zerrissenheit zwischen Tradition und Aufbruch, Eigen- und Familieninteresse gibt wie ihrer Figur Asha Graufreud in „Game of Thrones“.

Zum Glück keine perfekte Frau

Weiterer Frauen in tragenden Rollen füllen das opulente Kostümfest mit einer Kraft, die anders als im deutschen Historytainment keine Kulissen dekoriert, sondern Leben in die Bude bringt. Atmosphärisch wirkt die humorvolle Selbstermächtigung, als hätte Jane Austen das Drehbuch der Hochglanzserie „The L-Word“ verfasst. Die unmögliche Beziehung zweier Frauen darf zart wachsen, verheddert sich aber im Gestrüpp misogyner Konventionen. Nur dass Anne Lister sich davon nie unterkriegen lässt und weiter ihren Weg geht.

Weil sie für Frauen und Arme eintritt, aber ihren Standesdünkel hegt, weil sie Angestellte zwar freundlich, zuweilen aber herablassend behandelt, weil die reiche Aristokratin mit zwei Worten nicht perfekt ist, wird Gentleman Jack“, wie sie wegen ihrer burschikosen Art genannt wurde, zu einer der wahrhaftigsten Charaktere emanzipatorischer Fiktion. „Das einzige, wovor ich je Angst hatte“, sagt sie auf Fragen nach ihrer Furcht vorm Regelbruch, „ist Mittelmäßigkeit“. Eine Angst, der sich auch die Serie erfolgreich gestellt hat.

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