Romeo und Julia in einer düsteren Märchenwelt: Orlando Bloom als Polizeiinspektor, Cara Delevingne als Fee Foto: Amazon Prime

Feenland ist abgebrannt! Die Fantasyserie „Carnival Row“ mit Cara Delevingne und Orlando Bloom bietet eine spektakuläre Mischung aus Flüchtlingsdrama, Jack-the-Ripper-Krimi und Steampunk-Schauerroman.

Stuttgart - Es war einmal vor langer, langer Zeit, in weiter Ferne, so nah, als der Welt alles Zauberhafte ausgetrieben wurde. Ein barbarisches Volk fiel im Märchenwald ein, schlachtete wahl- und mitleidlos alle Fabelwesen ab, die sich nicht rechtzeitig auf an der Küste wartende Schiffe flüchten konnten. Aber auch die, die dem Gemetzel entkamen und nicht nach einem Schiffbruch eingepfercht unter Deck ertranken, mussten schnell feststellen, dass sie keiner in ihrer neu erreichten Welt haben wollte. Sie wurden als Fremdlinge verachtet und beschimpft, sie mussten wegen ihres Andersseins erneut um ihr Leben fürchten.

Feen enden entweder als Dienstmädchen oder Prostituierte

„Carnival Row“, ein großartiges, finsteres und bildgewaltiges Serienepos, das von diesem Freitag an bei Amazon Prime verfügbar ist, heißt einen unwirsch in einer Märchenwelt willkommen, in der das Wünschen schon lange nicht mehr hilft. Die viktorianische Fantasystadt, in die man hier geworfen wird, hat keinen Platz für Wunder. Sie ist kein kunterbunter Feentraum, sondern man irrt durch eine dreckige, stinkende, verwahrloste fantastische Version des Londons des 19. Jahrhunderts – eines Londons, das man aus den Romanen von Charles Dickens kennt.

Doch weit und breit ist kein Mr. Brownlow in Sicht, um die hiesige Variante von Oliver Twist – eine Feenfrau namens Vignette Stonemoss (Cara Delevigne) – aus dem Elend zu befreien. Vignette ist allerdings sowieso eine Überlebenskünstlerin. Und sie hat zu viel erlebt, ist zu tough, um sich für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden, die diese entzauberte Welt für junge Feen wie sie normalerweise bereit hält – sich als Dienstmädchen den Launen der hohen Herrschaften auszuliefern oder als exotisches Lustobjekt in einem der schäbigen Bordelle an der Carnival Row den eigenen Körper zu verkaufen.

Fabelwesen als Migranten im viktorianischen Moloch

Zwar versucht Vignette kurz einmal, ihren Stolz zu überwinden, und versteckt ihre Feenflügel in einem engen Korsett. Doch bald schon schnürt sie es wieder auf, um durch die Nacht zu fliegen und ihren tot geglaubten Liebhaber zu suchen. Bevor alles so schlimm wurde, hatte sie sich nämlich auf eine verbotene Romanze mit einem Menschen eingelassen – mit Rycroft Philostrate (Orlando Bloom), der einst Vignettes Welt bereist hat, um Frieden zu stiften. Eine Mission, die tragisch scheiterte.

Inzwischen arbeitet er als Polizist in diesem viktorianischen Moloch, in dem immer mehr Migrantenwesen Zuflucht suchen, in dem der Hass immer größer wird und in dem ein Killer, der es auf Zauberwesen abgesehen hat, mit bestialischen Morden Angst und Schrecken verbreitet. Bei seinen Ermittlungen muss Rycroft feststellen, dass sich hinter diesen Gräueltaten etwas noch viel Unheimlicheres verbirgt. Und dann ist da ja noch die grollende Vignette, die sich von ihm verraten fühlt – und damit droht, sein größtes Geheimnis preiszugeben.

Nicht zimperlich im Umgang mit Gewalt

Bei jeder neuen Serie, die sich derzeit fantastisch kostümiert, stellt sich reflexartig die Frage: Ist das vielleicht das neue „Game of Thrones“? Bei „Carnival Row“ ist die Frage durchaus berechtigt. Auch hier spiegelt sich verzerrt eine Geschichtsepoche – dort das Mittelalter, hier die Viktorianische Zeit. Auch hier haben verfeindete Völker die Welt unter sich aufgeteilt und kämpfen trotzdem ständig um die Vorherrschaft. Beide Serien lassen einen dicht gewebten, weit verzweigten Erzählkosmos entstehen, voller atemberaubender Schauwerte, seltsamer Kreaturen, grandioser Nebenfiguren und verworrener Handlungsstränge.

Auch der gar nicht zimperliche Umgang mit Gewalt ist beiden Serien gemeinsam. „Carnival Row“ erinnert dabei aber auch an Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“. Del Toro war anfangs Co-Autor und Produzent, hat aber längst Travis Beacham und Renè Echevarria das Projekt überlassen. Von Beacham stammte auch ein 2005 verfasstes, eigentlich für einen Film bestimmtes Drehbuch, das nun Grundlage für die Serie ist.

Ganz nah dran am Hier und Jetzt

Hinter der düster schillernden Oberfläche, die Steampunk-, Schauerroman-, Fantasy- und Groschenkrimi-Elemente vermengt, ist „Carnival Row“ ganz nah dran am Hier und Jetzt. Man erkennt in dieser Geschichte von Feen auf der Flucht aktuelle gesellschaftliche Streitthemen wieder – wie Migration, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und den Brexit.

Deshalb und weil diese Serie voller gebrochener Helden virtuos erzählt und bildgewaltig inszeniert ist, hat sie das Zeug zum Hit. Bei Amazon jedenfalls glaubt man, dass sich das Wünschen doch noch lohnt: Bereits vor dem Start der ersten Staffel hat man eine zweite in Auftrag gegeben.

Alle acht Episoden der ersten Staffel von „Carnival Row“ sind von Freitag an bei Amazon Prime verfügbar – allerdings zunächst nur im Original mit Untertiteln. Die deutsche Fassung folgt am 22. November.