Ein lohnender Aufstieg: der Lemberg mit seinen Weinreben. Foto: Tim Knobloch

Einmal die Stadt umrunden: Beim Wandern auf dem Stuttgarter Rössleweg kommt Urlaubsstimmung zu Hause auf. Die Route ist vielseitig und bietet schöne Aussichtspunkte.

Stuttgart - Am schönsten waren die beiden Bussarde im Morgendunst. Außerdem haben wir gesehen: Amseln, Elstern, Gartenrotschwänze, Krähen, Meisen. Einen Zaunkönig. Leider keinen Pirol. Eichhörnchen. Eidechsen. Waldmäuse. Und an einem Tag: Weinbergschnecken über Weinbergschnecken.

In fünf Tagen haben wir – mein Mann, die beiden Söhne von elf und dreizehn Jahren und ich – Stuttgart umrundet, hinauf auf den Berg und hinunter ins Tal, immer wieder, immer wieder. Nur mit der Karte des Verschönerungsvereins Stuttgart und einem Rucksack ausgerüstet haben wir uns die 54 Kilometer lange Strecke erwandert. Das Stuttgarter Rössle im gelben Ring wies den Weg. Bus und Bahn brachten uns zu unserem jeweiligen Startpunkt und am Ende der Etappe wieder nach Hause.

Florentiner essen in Sonnenberg

An Tag eins starten wir am Stadtpark unweit der S-Bahn-Station Zuffenhausen. Es geht durch den Wald, dann führt der Weg hinauf durch die Gärten am Lemberg. Über Stäffele wandern wir wieder nach unten in einen stillgelegten Steinbruch, der Einblick in die lehmigen und sandigen Schichtstufen des Bodens gibt. Über Weilimdorf und das Lindenbachtal laufen wir hinauf zur Hohen Warte, einen malerischen Platz zwischen Wald und Kleingärten. Das Wasser, selbst gepumpt, erfrischt. Dann reicht die Energie gerade noch bis hinunter ins Feuerbacher Tal. Dort warten wir müde auf den Bus.

Tag zwei beginnt mit einer Diskussion: Bleiben wir zu Hause oder wagen wir uns in den strömenden Regen hinaus? Mit einem Schirm in der Hand finden wir uns im Feuerbacher Tal wieder. Es geht gleich steil bergauf zum Kräherwald. Ein Mann mit Kurzhaardackel kommt uns entgegen und zwei Frauen mit Golden Retriever und Airdale-Terrier. Rassehunde – das Villenviertel ist nicht weit. Wir wandern parallel zur Straße im Wald. Als wir am Birkenkopf ankommen, schüttet es. Deshalb sparen wir uns den Aufstieg auf den Monte Scherbelino, der aus Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufgeschüttet wurde. Eine Schutzhütte im Heslacher Bürgerwald bietet Unterschlupf und wir vespern. Die Schwälblesklinge, ein kleines renaturiertes Kerbtal bei Kaltental, begeistert uns: wild ausgewaschen, dunkelbrauner Sandstein zur Rechten und zur Linken, immer wieder erzählen freigelegte Baumwurzeln von der Kraft des Wassers. Es geht weiter bergauf, und wir machen einen Schlenker hinauf nach Sonnenberg. In einer Bäckerei essen wir die besten Florentiner der Welt. Die Stadtbahn bringt uns zurück nach Hause.

Über den Neckar, durch Weinberge und Gärten

An Tag drei bleiben die Schirme zu Hause. Wir laufen in Sonnenberg los und lange am Dornhaldenfriedhof entlang. Malerisch: das alte Garnisonsschützenhaus direkt am Wald, ein Fachwerkgebäude aus roten Ziegeln. Um zur Geroksruhe zu gelangen, müssen wir die Weinsteige passieren, eine der am stärksten befahrenen Straßen Stuttgarts. Es riecht nach Abgasen und wir sind froh, als wir wieder in den lichten Wald am Fuchsrain eintauchen können. Durch die Wangener Stückle-Landschaft geht es steil bis hinunter bis nach Hedelfingen. Die Gesichter sind rot – nicht nur von der Sonne.

Die große Frage an Tag vier: Werden wir es schaffen, die 54 Kilometer lange Tour heute zu Ende zu bringen? Wir starten in Hedelfingen und überqueren die Brücke über den Neckar, trostloses Industrie-Ambiente. Von Untertürkheim aus geht es in die Weinberge. Akkurat gesetzte Metallpfosten halten die Seile, an denen die Reben festgebunden sind – Pfähle aus verwittertem Holz sehen wir nur selten. Zur Grabkapelle von Königin Katharina nehmen wir eine kleine Abkürzung: 172 Stäffele führen nach oben. Die Inschrift an der Grabkapelle rührt: „Die Liebe höret nimmer auf.“ An einem Eiswagen holen wir uns jeder zwei Kugeln und wandern durch Weinberge und Gartengrundstücke über Fellbach bis nach Bad Cannstatt. Die Mehrheit entscheidet an der Stadtbahnhaltestelle Antwerpener Straße: Für heute reicht es.

„Nun gehört die Stadt uns“

Der fünfte Tag bringt das Finale, von Cannstatt über das Wohngebiet Sommerrain zurück nach Zuffenhausen. Wieder in den Weinbergen, freuen wir uns: Hierher also kommt das Cannstatter Zuckerle, der Wein aus dem Getränkemarkt! Beim Blick hinunter weist der Zeigefinger den Weg: Dort waren wir schon und dort! Irgendwie haben wir das Gefühl: Nun gehört die Stadt uns. Ein kurzes Stück laufen wir am Neckar entlang, dann führt der Weg wieder zwischen Schrebergärten hinauf. Beim deutschen Wetterdienst checken wir die Temperatur: 28 Grad. Die Schritte werden schneller: Wir wollen nach Hause. Um das Gelände des Robert-Bosch-Krankenhauses herum steigen wir schließlich durch Weinberge ab nach Zuffenhausen.

Mit schnellem Schritt überholen uns drei Wanderer. „Machen Sie auch den Rössleweg?“, frage ich. „Ja“, kommt die Antwort. Die jungen Männer sind morgens um fünf Uhr aufgebrochen und wollen die Tour an einem Tag laufen. Wir wünschen ihnen viel Spaß beim Aufstieg auf den Lemberg. „Puh, schon wieder hinauf“, sagen sie und winken zum Abschied. Sie sind die einzigen Rössle-Wanderer, die wir an unseren fünf Tagen auf Schusters Rappen rund um Stuttgart getroffen haben. Zu Hause angekommen strahlen wir um die Wette. Wir sind uns einig: Das war toller als jede Reise in die Ferne – und ganz ohne den üblichen Urlaubsstress.