Je eindeutiger die Patientenverfügung formuliert worden ist, desto einfacher ist es für Angehörige und Ärzte zu entscheiden. Foto: dpa

Nullzinsen machen die Vorsorge nicht einfach. Wir zeigen in unserer Serie, welche finanziellen Aspekte in welcher Lebenslage zu berücksichtigen sind. Heute: Die Patientenverfügung.

Stuttgart - Es war ein Satz, der der 75-jährigen Frau zum Verhängnis wurde: „Im Falle eines schweren Dauerschadens des Gehirns, wünsche ich keine lebensverlängernden Maßnahmen.“ So stand es in der Patientenverfügung der Dame. Und doch wurde ihr nach einem schweren Schlaganfall eine Magensonde gelegt, über die sie künstlich ernährt wurde. Der Grund: Die Formulierungen „schwerer Dauerschaden des Gehirns“ und „lebensverlängernde Maßnahmen“ waren für die Ärzte zu ungenau. Das bestätigte der Bundesgerichtshof 2016 – und entschied: Behandlungssituationen und Maßnahmen, die vorzunehmen oder zu unterlassen sind, müssen konkret benannt sein.

Eine weitreichende Entscheidung, die von Verbraucherschützern, Ärzten und Juristen mit gemischten Gefühlen betrachtet wird. „Auf der einen Seite stärkt der Bundesgerichtshof mit diesem Urteil klar die Patientenrechte“, sagt Susanne Weidner von der Stiftung Warentest. „Es festigt den Grundsatz, dass jede ärztliche Behandlung die Zustimmung des Patienten braucht.“ Andererseits ist diese Freiheit zur Selbstbestimmung auch das Problem: „Viele fühlen sich mit der Aufgabe überfordert“, sagt Weidner, denn wer kennt sich als Laie in medizinischen Dingen so gut aus, um für alle Eventualitäten abgesichert zu sein?

In einem neuen Beschluss, der nun veröffentlicht wurde, hat der Bundesgerichtshof versucht, Irritationen auszuräumen. Werden demnach in einer Patientenverfügung lebensverlängerende Maßnahmen abgelehnt, wenn „keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins“ besteht, müsse dieser Patientenwille beachtet werden, heißt es jetzt. Das gelte erst recht dann, wenn der Patient sich außerdem mündlich gegen die Aufrechterhaltung der künstlichen Ernährung ausgesprochen und seinen Wunsch zu sterben geäußert hat (AZ: XII ZB 604/15).

260 Muster-Patientenverfügungen im Umlauf

Laut Angaben der Stiftung Warentest sind rund 260 unterschiedliche Muster-Patientenverfügungen im Umlauf – und alle geben vor, den medizinischen und juristischen Ansprüchen gerecht zu werden. Doch ganz ohne Vorbehalte sollten diese nicht genutzt werden, warnen Experten. So gibt Ingo Hauffe, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Stuttgart, zu bedenken, dass nicht alle von Fachjuristen entworfen wurden. Auch kann es sein, dass die Vorlage nicht mehr aktuell ist: „Wurde sie schon vor dem Urteil des BGH ins Netz gestellt und seitdem nicht mehr überarbeitet, ist der Nutzen eher gering.“ Deswegen sollten auch Patientenverfügungen, die vor dem Urteil erstellt worden sind, überprüft werden.

Der Rechtsanwalt aus Ludwigsburg rät dazu, möglichst viele Regelbeispiele zu nennen. Das empfiehlt auch die Stiftung Warentest: Wer etwa wie die Komapatientin es ablehnt, nach einer Hirnschädigung intensivmedizinisch behandelt zu werden, muss präzise die verschiedenen möglichen Behandlungsmethoden ablehnen. Problematisch dagegen sind Sätze wie „Ich wünsche keine Schläuche an mir“ oder „Wenn ich nur noch Opfer der Intensiv- oder Apparatemedizin bin.“ Hierunter kann jeder Arzt etwas anderes verstehen und oft nicht unterscheiden, ob der Verfügende intensivmedizinische lebenserhaltende Maßnahmen generell oder lediglich für eine bestimmte Situation ablehnt, warnt Susanne Weidner. Sie rät denjenigen, die sich bei der medizinischen Bedeutung ihrer Formulierungen unsicher sind, sich bei einem Hausarzt, Patientenberatern, Hospizvereinen, Krankenhäusern oder Rechtsanwälten Rat zu holen.

Kranke sollen über Verlauf der Krankheit aufgeklärt werden

Im Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart versucht man daher gerade chronisch Kranke über den Verlauf ihrer Krankheit so aufzuklären, dass sich in der Phase der Entscheidungsunfähigkeit sicherstellen lässt, dass die eigenen Wünsche und Vorstellungen bestmöglich beachtet werden. Aber natürlich kennt auch der Chefarzt der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin, Walter Erich Aulitzky, die Situation, in der die Ärzte in einen Zwiespalt geraten: Etwa wenn ein schwer kranker Patient in seiner Patientenverfügung eine intensivmedizinische Behandlung ablehnt, es aber aus Ärztesicht durchaus eine Chance gibt, dadurch wertvolle Lebenszeit zu gewinnen. Als Beispiel nennt er einen Patienten, de an der Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erkrankt ist: Bei dieser Krankheit wird die Muskulatur des Körpers immer schwächer, bis auch die Atemmuskulatur versagt. Im Verlauf von ALS stehen die Patienten vor der Entscheidung, ob sie ein Beatmungsgerät tragen wollen – um so den Sterbeprozess aufzuschieben. „Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Therapie können selbst Ärzte unterschiedlicher Meinung sein“, sagt Aulitzky. Dass solch unterschiedliche Interpretationen von vage formulierten Patientenverfügungen nicht dazu führen, dass der Patient inkonsequenten Behandlungsstrategien ausgesetzt ist, hat es sich bewährt, Rücksprache mit den nächsten Angehörigen zu halten, so Aulitzky.

Das gelte auch, wenn keine Patientenverfügung vorliegt: Dann muss der Arzt dem Gesetz nach einen vom Gericht bestellten Betreuer mit einbeziehen, der dann die individuellen Behandlungswünsche ermitteln muss. Dabei werden sie von Angehörigen unterstützt. Hat sich der Patient beispielsweise gegenüber dem Ehepartner für oder gegen bestimmte Behandlungen ausgesprochen, kommt dies einer mündlichen Patientenverfügung gleich.

In vielen Kliniken gibt es ein Ethikkomitee

Um Gewissenskonflikte seitens der Angehörigen aber auch seitens der Ärzteschaft zu überbrücken, hat sich in vielen Kliniken ein Ethikkomitee gebildet. Die Gremien setzen sich aus Vertretern von Ärzten, Pflegenden und anderen therapeutischen Berufen zusammen. Ihre Aufgabe ist, Ethikleitlinien für den Klinikbetrieb zu erarbeiten, in Konfliktfällen zu beraten und Kollegen zu schulen. Neben dem Robert-Bosch-Krankenhaus hat auch das Stuttgarter Klinikum ein solches Komitee, das immer dann einspringt, wenn über den Patientenwillen nur gemutmaßt werden kann und es zu Entscheidungskonflikten kommt.

„Wir versuchen im Gespräch mit Angehörigen herauszufinden, welche Einstellung der Patient zum Leben hat, ob religiöse Überzeugungen eine wichtige Rolle spielen, oder ob er bereit wäre, für ein Leben mit erheblicher Pflegebedürftigkeit zu kämpfen“, sagt die Medizinerin Christine Schupp vom Ethikkomitee des Klinikums. Zwischen eigenen Wünschen und Patientenwille zu unterscheiden falle nicht jedem Angehörigen leicht. Weshalb die Ärztin rät, solche Gespräche möglichst frühzeitig mit seiner Familie zu klären. Das ist auch der Wunsch ihres Kollegen vom RBK, Walter Erich Aulitzky. „Jeder sollte sich immer mal wieder mit der Frage beschäftigen, was man zum Beispiel nach einem schweren Unfall, einem Schlaganfall oder bei lebensgefährlichen Verletzungen an Behandlungen wünscht oder nicht wünscht“, sagt er. „Vor allem sollte man darüber mit seiner Familie reden.“