Christian Weiherer probt mit dem Domchor St. Eberhard Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Stuttgarter Chorlandschaft ist einzigartig. Spitzenchöre gehören dazu wie Ensembles, die von den vielen engagierten Laien getragen werden. In einer Serie stellen wir einige Beispiele des vielgestaltigen Chorschaffens vor.

Stuttgart - War Franz Schubert eigentlich schon ein guter Komponist, als er mit 18 Jahren seine B-Dur Messe Nr. 3 schrieb? – Auf jeden Fall macht er heute noch den Sängerinnen und Sängern des Eberhard-Chors ihre liebste Freizeitbeschäftigung nicht immer leicht, das Singen: Immer wieder Melodien in gewöhnungsbedürftigen Tonlagen, mal zum Leidwesen der Tenöre, mal der Soprane. Und da werden eben auch Schwachstellen deutlich, bei denen der eine oder andere Chorsänger sich lieber in Zurückhaltung übt. Der Dirigent Christian Weiherer geht damit behutsam, aber bestimmt um. Denn am Ende muss das Gesamtergebnis stimmen.

Die zweite Kathedralkirche des Bistums

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Weiherer nun Domkapellmeister von Sankt Eberhard, ein Amt mit vielen Aufgaben und großen Erwartungshaltungen. Weiherer: „Sankt Eberhard ist eine Konkathedrale, also die zweite Kathedralkirche des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Das bedeutet, dass hier auch Bischöfe die Gottesdienst gestalten und predigen.“ Die musikalische Begleitung der einzelnen Stationen eines liturgischen Jahrs gehört zu den zentralen Aufgaben des katholischen Musizierens. „Quasi jedes Wochenende gestalten meine Ensembles in irgendeiner Form einen Dienst“, so Weiherer. Hinzu kommen fünf große Orchestermessen im Jahr, sonstige Orchester- und Benefizkonzerte sowie „viele Überraschungen“, so Weiherer.

Die weiteren Ensembles, das sind neben dem Domchor und der -kapelle die Mädchenkantorei und die Schola Gregoriana, insgesamt etwa 300 Stimmen. Die Schola ist ein spezialisierter Kreis von Herren, die sich ganz der gregorianischen Musik verschrieben haben. Bei den Mädchen sind die Teilnehmerinnen zwischen fünf und 18 Jahren alt, sie sind in verschiedenen Gruppen aufgeteilt. Weiherer hätte es gerne, wenn sie danach wechseln würden in den Domchor, er weiß aber auch: „Das ist heute leider nicht mehr sehr realistisch. Das Berufsleben, diverse Praktika oder Studiengänge: Heute müssen alle sehr flexibel und mobil sein, um im Berufsleben zu bestehen. Am langjährigen Wohnort Stuttgart bleiben zu können, das ist für Berufseinsteiger heute keine realistische Option mehr.“

Kompetenz von Mozart bis zur Gegenwartsmusik

Der Anspruch, Chor einer Bischofskirche zu sein, bleibt dennoch: „Das heißt für uns, dass wir keine Spezialisten sein können“, so Weiherer, „alles muss möglich sein vom Barock bis zur Musik des 21. Jahrhunderts.“ Oder anders ausgedrückt: Kompetenz muss vorhanden sein bei Stücken von Mozart, Haydn oder auch Schubert, dazu gehört ebenso die Aufgeschlossenheit gegenüber Klängen der Gegenwartsmusik. Man arbeite mit den Kompositionsklassen der Musikhochschule zusammen. „So entstehen Werke, die ganz speziell auf das Profil des Domchors zugeschnitten sind“, sagt Weiherer. Auch eine Jazzmesse ist für 2018 im Auftrag. „ Schlagzeug und Keyboards im Kirchenraum sind für manche nach wie vor gewöhnungsbedürftig, überhaupt erntet man für zeitgenössische Klänge nicht nur Bravo-Rufe“, sagt er. Aber man sei hier in Stuttgart. „Und da gibt es auch ein Konzertpublikum, das modern und aufgeschlossen ist.“ Die Kirchenleitung weiß er hinter sich, sie ist ebenfalls neugierig auf Experimente.

Weiherer gibt zu: „Das ist eine große Herausforderung und eine schwere Aufgabe. Was sie machen müssen, ist vergleichbar mit Hochleistungssport. In dieser Hinsicht gibt es da keinen Unterschied zwischen Laien und Profis.“ Der Unterschied zwischen Laien und Profis – Weiherer differenziert da sehr genau: „Profis verfügen über andere Möglichkeiten, kommen deshalb auch zu anderen Ergebnissen. Aber auch Laien können sehr viel erreichen, wenn wie bei uns ihre Bereitschaft optimal gefördert wird. Laien erreichen vielleicht technisch nicht das höchste Niveau, dafür können sie mit ihrer Leidenschaft begeistern. Profi-Ensembles dagegen klingen oft perfekt, aber auch langweilig.“

Im Chor geht es um den Zusammenhalt

Er muss aber auch an sich selbst noch arbeiten, etwa an seiner Akzeptanz von Stuttgart-typischen Problemen: „Anfangs hat es mich schon ziemlich genervt, dass immer welche zu spät zu den Proben kommen“, gibt er zu, „aber es ist ja in der Tat auch nicht so einfach, hier im Stuttgarter Verkehr pünktlich an einem verabredeten Ort zu sein, egal, ob man mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist oder ob man mit dem Auto in die Singschule fährt.“

Doch bei allen Anforderungen geht es auch in Stuttgart um den Zusammenhalt: „So ein Chor ist ein Zusammenschluss von ganz verschiedenen Personenkreisen, auch unter sozialen Aspekten betrachtet. Und dieser Chor ist für alle eine Heimat. Wir haben zwar ständig Proben und geben ständig Konzerte, wir machen beim Anspruch auch keinen Unterschied, ob wir bei einem Gottesdienst oder bei einer großen Messe singen. Das sind ja auch alles willkommene Abwechslungen. Aber niemand muss immer alles mitmachen, jeder soll und muss sich seine Auszeiten nehmen. Auch Leute, die sich für unseren Chor interessieren, können jederzeit einsteigen.“