Die Huxtables aus der TV-Sitcom „Die Cosby Show“ Foto: NBC

Der Wandel der afroamerikanischen Identität spiegelt sich in gesellschaftspolitischen Debatten und Kunstformen wie Literatur, Kino oder Popmusik wieder. Die Serie „Black America“ setzt sich damit auseinander. In dieser Folge: Schwarze Familienbilder in den TV-Serien.

Stuttgart - Los Angeles im April 1992. Die Stadt brennt. Es herrscht Bürgerkrieg, Schwarz gegen Weiß, Ladenbesitzer gegen Plünderer, Hauseigentümer gegen Randalierer. Die Nationalgarde, die US Marines und die US Army eilen der Polizei zur Hilfe. Die Drohung von US-Präsident George Bush, entschlossen gegen Aufrührer vorzugehen, ist ebenso erfolglos wie der TV-Auftritt eines afroamerikanischen Taxifahrers, der alle anfleht, sich wieder zu vertragen. Dabei ist dieser Taxifahrer namens Rodney King derjenige, mit dem alles begonnen hat. Er hat sich betrunken eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert und ist anschließend verprügelt worden. Obwohl ein Video die Polizeigewalt dokumentiert, werden die Beamten freigesprochen. Die Unruhen, die folgen, dauern sechs Tage. 55 Menschen sterben. 2000 werden verletzt, der Sachschaden wird auf rund eine Milliarde Dollar geschätzt.

Wie die meisten Fernsehanstalten berichtet auch der Sender KNBC am 30. April 1992, an Tag zwei der Unruhen, rund um die Uhr von den Ausschreitungen. Eine Stunde lang gönnt er sich und seinen Zuschauern dann aber doch eine Auszeit von den Schreckensmeldungen, um das Finale einer Sitcom auszustrahlen. „Acht Jahre lang hat uns Bill Cosby zum Lachen, zum Weinen, zum Nachdenken gebracht“, sagt der Nachrichtensprecher. Auf die „Cosby Show“ sei in dieser verrückten, chaotischen Welt Verlass. „Und jetzt kann sie helfen, uns zu beruhigen und uns daran zu erinnern, wie sich Donnerstagabende angefühlt haben, bevor dieser Wahnsinn begann.“

Fernsehkomödien als gesellschaftliches Beruhigungsmittel

Eine Sitcom als Beruhigungsmittel für eine Nation in Aufruhr? Was für ein verwegener Einfall! Doch KNBC ist in guter Gesellschaft. Schließlich hat sich zuvor schon Los Angeles’ Bürgermeister Tom Bradley an die Bevölkerung gewandt und die Menschen aufgefordert, zu Hause zu bleiben und nicht auf die Straße zu gehen: „Schauen Sie sich lieber die ‚Cosby Show‘ an!“, hatte er empfohlen.

Tatsächlich ist diese Sitcom eine schöne Utopie. Sie zwängt afroamerikanische Darsteller nicht in die beliebten Klischeerollen, inszeniert sie nicht als Drogendealer, Kleinkriminelle, Sozialhilfeempfänger oder komische Kauze, sondern lässt sie ganz selbstverständlich als Vertreter der oberen Mittelklasse auftreten – Heathcliff „Cliff“ Huxtable (Bill Cosby) ist Gynäkologe, seine Frau Claire (Phylicia Rashad) Anwältin.

Von 1984 bis 1992 läuft die Serie, der Sender NBC produziert nicht nur 201 Episoden der „Cosby Show“, sondern auch einen Ableger namens „College Fever“. Die Sitcom gilt bis heute als kommerziell erfolgreichste – und in den Augen vieler Kritiker auch beste – afroamerikanische TV-Serie. Sie ist 29-mal für den TV-Oscar Emmy nominiert, wird 1985 als beste Comedy-Serie ausgezeichnet, Bill Cosby wird zum besten TV-Vater aller Zeiten ernannt. Und dass man die Serie heute vergeblich in den TV-Programmen sucht, liegt keinesfalls daran, dass sie heute nicht mehr witzig oder zeitgemäß wäre, sondern an deren Hauptdarsteller, über den man heute nicht mehr lachen möchte, nachdem bekannt wurde, dass der Komiker Bill Cosby seit den 1960er Jahren zahlreiche Frauen missbraucht haben soll.

In den 1980er und 1990er Jahren, weiß man noch nichts von diesen Anschuldigungen. Stattdessen wird Bill Cosby damals in der Rolle des Dr. Huxtable als Inbegriff des Gutmenschen wahrgenommen, steht mit seinen absurd-gemusterten Pullovern für eine afroamerikanische Aneignung spießbürgerlich-konservativer Lebensentwürfe. Als am 30. April das Finale der Sitcom läuft, in Los Angeles Ausnahmezustand herrscht, wird jedoch schnell erschreckend deutlich, wie sehr diese von der Huxtable-Großie vorgeführte Prosperität keinesfalls die afroamerikanische Normalität abbildet, sondern immer noch eine Utopie, ein telegener Mythos ist.

US-Sitcoms als Mythologiemaschinen

Allerdings gleichen die US-amerikanischen TV-Sitcoms sowieso Mythologiemaschinen, die gesellschaftliche Traumbilder, wertkonservative Wunschvorstellungen generieren und perpetuieren – vor allem wenn es um ienabbilder geht. Die Cartwrights, Waltons, Feuersteins oder Bundys haben als Serienien nachhaltig die Vorstellung geprägt, was typische US-ien ausmacht. Denn so unterschiedlich Serien wie „Bonanza“, „Die Waltons“ oder „Eine schrecklich nette ie“ sind, so sehr propagieren sie doch das Ideal einer Familie, die in guten wie in schlechten Zeiten zusammenhält. Das gilt bereits für „Mary Kay und Johnny“ (1947–1950), die als die erste TV-Familiensitcom gilt .

Zwar gab es bereits in den 1950ern mit „Amos ’n’ Andy“ eine erste (mit rassistischen Klischees durchsetzte) schwarz besetzte Sitcom. Und im Jahr 1968 kommt es – bezeichnenderweise in einer Science-Fiction-Serie – sogar zum ersten TV-Kuss zwischen einem Weißen und einer Schwarzen (in der „Star Trek“-Episode „Platons Stiefkinder“ küssen sich Uhura und Kirk).

Doch erst in den 1970er Jahren – parallel zum wachsenden politischen Selbstbewusstsein der Afroamerikaner, das sich beispielsweise in Form der Blaxploitation-Filme und beim Entstehen des Hip-Hop lautstark zu Wort meldet, öffnet sich die Sitcom auch für schwarze Familienbilder. Unter diesen ist die Serie „Good Times“ (1974–1979), die von den Evans erzählt, die sich mit ihren drei Kindern in einem armen schwarzen Wohnprojekt in Chicago durchschlagen, bis heute eine der mutigsten.

Während sich aber im Kino und in der Musik eine Art Gegenkultur entwickelt, findet im Fernsehen eine Assimilation statt, eine Aneignung „weißer“ Familienideale. Das gilt für „Sanford & Son“ (1972–1977) ebenso wie für die „Die Jeffersons“ (1979–1985), die Huxtables in der „Cosby Show“ (1984–1992), die Winslows“ in „Alle unter einem Dach“ (1989– 1998) oder die Banks in „Der Prinz von Bel-Air“ (1990–1996). In der Sitcom, die Will Smith („Independence Day“, „Men In Black“) zum Durchbruch verhilft, wird aber immerhin das komödiantische Potenzial ausgeschöpft, das beim Aufeinanderprallen der Mittelschichts-Wohlstandsgesellschaft und der afroamerikanischen Subkultur entsteht.

„Empire“ ist „Dallas“ mit Musik

Es dauert allerdings bis zum Jahr 2015, bis das schwarze Amerika endlich seine eigene Version von „Dallas“ und „Denver Clan“ bekommt, bis auch in Familienserien mit afroamerikanischen Protagonisten nicht mehr die heimelige Eintracht und der Zusammenhalt, der Jahr für Jahr beim Truthahnessen an Thanksgiving kulminiert, gefeiert wird, sondern Familie auch als ein intriganter Haufen von konkurrierenden, machthungrigen Menschen, als eine Abbildung der kapitalistischen Ordnung im Kleinen, interpretiert werden darf.

In der Serie „Empire“ geht es statt um Öl und Rinder um R ’n’ B und Hip-Hop. Was den Ewings ihre Southfork Ranch, ist dem Lyon-Clan ihre Wolkenkratzersuite in New York City. Lucious Lyon, Ex-Dealer, Ex-Rapper und jetzt CEO von Empire Entertainment, und seine Ex-Frau Cookie, die gerade aus dem Knast raus ist, können es in Sachen selbstgefälliger Hinterhältigkeit durchaus mit J. R. Ewing aufnehmen. Außerdem gibt es da noch drei mehr oder weniger begabte Söhne, denen der an ALS erkrankte Lucious einmal sein Imperium übergeben will.

Während sich dieser König Lear des Pop zur besten Sendezeit um sein Vermächtnis sorgt, melden die Nachrichtensendungen wieder Rassenunruhen. Diesmal in Baton Rouge oder Dallas. Bisher ist aber noch kein Nachrichtensprecher oder Politiker auf die Idee gekommen, all den Menschen in Aufruhr „Empire“ als gesellschaftspolitisches Sedativ zu verordnen.