Heiße Partynacht im Club Andergraund. Foto: Möhnle

Partys muss man in Belgrad nicht lange suchen. Die Stadt ist modern, kreativ und sehr grün.

Wilde Partys muss man in der Hauptstadt Serbiens nicht lange suchen. Gerade jetzt im Sommer, wenn die Tanzböden der Clubschiffe beben. Die Balkanmetropole kann aber auch ganz anders: modern, kreativ, romantisch und sehr grün.

Noch riskiert man auf dem Clubschiff Plastic Jam keine blauen Flecken auf dem Brustkorb, noch wabern nur sanfte Beats aus den Boxen. Noch hat der Barkeeper mit Tattoos bis über beide Ohren jede Zeit der Welt. "In Belgrad beginnen die Nächte später", sagt er. Spätestens um zwei Uhr nachts gibt es kein Halten mehr.

Der DJ treibt das Partyvolk mit immer härteren Elektro-Beats in Ekstase, in Käfigen tänzeln langbeinige Schönheiten. Mancher Raver, dem es zu heiß wird, springt kurz über Bord, was die quadratisch gebauten Türsteher meist mit einem Rausschmiss quittieren. Wohl wissend, dass genug andere Nachtschwärmer anstehen. Und der Tourist fragt sich: Das ist der feurige Balkan?

"Wahres Balkan-Feeling erlebst du auf dem Roma-Partyschiff Black Panthers. Dort stampft serbischer Turbofolk aus den Boxen, und es fliegen bis frühmorgens Gläser an die Wand", sagt Srdjan Isajlovic, der eigentlich Maschinenbau studiert. Er hat es sich zum Hobby gemacht, Fremden das vielgepriesene Belgrader Nachtleben zu zeigen. Was ihm ansonsten noch an seiner Stadt gefällt? "Belgrad fordert dich jeden Tag aufs Neue heraus", sagt der 22-Jährige, der bei dem Nato-Bombardement im Jahr 1999 noch ein Kind war und hofft, dass die noch überall sichtbaren Ruinen endlich aus dem Stadtbild verschwinden.

"Dieser Krieg, das ist Geschichte. Wir haben ein Recht auf Zukunft!", sagt er – und verrät uns seine Zutaten für ein perfektes Belgrad-Wochenende mit Party und Kultur: Kalemegdan, die stolze Burganlage mit Cafés, feinen Restaurants, Open-Air-Partys und Ausblick weit ins Land sollte man auch bei Tag mal sehen. Nikola Tesla, dem Pionier der Elektrizität, ist ein eigenes Museum gewidmet. Und wer so richtig hoch hinaus will, sollte den Überlandbus zum im April wieder eröffneten Fernsehturm auf dem Berg Avala nehmen, der 1999 zerstört worden war.

Wir entscheiden uns an diesem nächsten Morgen für eine etwas gemütlichere Alternative: Supermarket nennt sich dieser etwas andere Supermarkt bei der Fußgängerzone. Statt Butter, Brot und Brokkoli findet man hier todschicke Designer-Kleidung, futuristisches Geschirr, bezahlbaren Schmuck, ungewöhnliche Möbelstücke und mit Aleksandar Spasojevic einen 24 Jahre jungen Geschäftsführer, der vor Tatendrang nur so bebt. "Wir zeigen, welches Potenzial in den Menschen steckt", erklärt der studierte Architekt an der endlos langen Bar mit den lauschigen Sesseln. Für ihn ist dieser Laden mehr als nur ein schmucker Shop. Die extrem hohe Arbeitslosenquote, der auch in Belgrad kümmerliche Durchschnittslohn von umgerechnet 400 Euro, alles das sei schlimm. Leider leide Serbien noch immer stark unter dem Wegzug vieler kreativer Köpfe in den Kriegswirren der 90er Jahre. "Aber immer mehr kehren zurück, und wir wollen hier eine Plattform und Schnittstelle bieten." Ortswechsel. "Trink Rakija, dann schwitzt du weniger! Der verdrängt die Hitze", sagt Dimitrije Potic. Im schattigen Garten der Kafana biegt sich der Tisch unter Bergen von Spezialitäten wie Cevapcici und Pleskavica, einer Art Hamburger mit Frischkäse. Auch Potic ist ein Rückkehrer. 2005 gab er in München seine gutgehende Internetfirma auf, nun bastelt er in Belgrad an mehreren Projekten gleichzeitig. "Ich schätze Deutschland, doch als Kreativer habe ich hier weniger bürokratische Zwänge", sagt er vieldeutig.

Potic streift mit uns durch das pittoreske Altstadtviertel Skadarlija mit traditionellen Galerien und lauschigen Lokalen. Sein absoluter Insidertipp ist die Rakija-Bar in modernem Ambiente in der Strahinjica Bana. Eben trug die Belegschaft noch den betagt verstorbenen Seniorchef zu Grabe, nun fließen feine Obstbrände von Quitte bis Pflaume. "Den Rakija verdanken wir den Osmanen, doch wir haben von jedem unserer vielen Besatzer immer das Beste hierbehalten. Was man ja auch in unseren Gesichtern ablesen kann", sagt Potic.

Von den Habsburgern den Strudel. Von den Griechen die Vorliebe zu philosophieren. Und von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg? "Die haben uns an einem Tag eine Stahlbrücke über die Donau geschlagen, die wir bis heute benutzen. So viel Tatkraft ist Serben eher fremd", sagt Potic lächelnd und zeigt auf manche Ruine mitten in der Stadt. Mitten im Herzen Belgrads klaffen seit Jahren riesige Baulücken, einige einst herrschaftliche Bürgerhäuser sollten renoviert oder abgerissen werden. "Eine unserer Stärken und Schwächen zugleich ist, dass wir diskutieren und dann doch nichts machen", sagt Potic.

Gerade die Strahinjica Bana wäre für solche Diskussionen sicher ein perfekter Platz. Bars und Discotheken gibt es hier zuhauf, auf riesigen Flatscreens läuft MTV rauf und runter. Die eigentliche Show aber sind die Menschen, die sich hier besonders wohlfühlen: Balkan-Machos in dicken SUV-Jeeps mit dicken Ketten um den Hals und manch zweifelhaftem Ruf. Dazu wasserstoffblondierte Frauen in High Heels, denen jeder ihre Vorliebe für Schönheitschirurgie ansieht. "Deshalb wird diese Gegend im Volksmund Silicon Valley genannt", frotzelt Ivan in der Kontrabar bei einem gepflegten Bier. Von Natur aus könne kein Mensch so schön sein.

Noch besser kennt sich der junge Mann mit der jüngeren, eher düsteren Geschichte des Balkans aus. Die ist sein Geschäft, vor allem asiatische Touristen folgen Ivan zu den schrecklichsten Schauplätzen der 90er Jahre. "Sie wollen sich gruseln und sind dann sehr enttäuscht, dass der Balkan so friedlich wie Tokio ist." Vielleicht befürchtet Ivan insgeheim, dass sich sein bislang so blühendes Geschäft bald überholt haben könnte.

Vielleicht organisiert Ivan dann Bootstouren über Donau und Save zur Ada Ciganlija, dem Freizeitsee der Belgrader. Oder zu den Öko-Oasen wie der Großen Kriegsinsel, wo in dichtem Grün besonders seltene Vögel nisten. Vögel, wie man sie nicht einmal im doch so turbulenten Belgrader Nachtleben antrifft. Auch nicht im In-Club Andergraund in den feuchten Kellern der Burg Kalemegdan, wo wir in der letzten Nacht Maschinenbau-Student Srdjan noch einmal treffen. In seinem Schlepptau hat er eine Horde müder Amerikaner auf Highschool-Reise – gezeichnet vom Kulturschock. Oder war’s der Rakija?

Belgrad

Anreise
Germanwings fliegt ab Stuttgart dreimal und ab Köln fünfmal wöchentlich nach Belgrad: www.germanwings.de. Tägliche Direktflüge mit Lufthansa gibt es von verschiedenen Flughäfen. Spezialangebot: Das Belgrader Tourismusbüro bietet Arrangements inklusive Flug, Hotel und Stadtführung ab 199 Euro für zwei oder drei Nächte. Weitere Informationen über www.tob.co.rs

Unterkunft
Modernes Ambiente und guten Standard in Zentrumsnähe bietet zum Beispiel das Hotel Excelsior (www.hotelexcelsior.rs). EZ 60 bis 85 Euro, DZ bei Doppelbelegung von 90 bis 110 Euro.

Preise
Die nationale Währung Serbiens ist der Dinar. Ein Euro entspricht ungefähr 104 Dinar.
Bier 0,5 Liter 1 Euro
Kaffee 0,80 Euro
Menü mit Getränken ca. 8 bis 12 Euro
Taxi vom Flughafen ins Zentrum 7 Euro

Was Sie tun und lassen sollten:
Auf jeden Fall sollte man eine Partynacht auf einem Partyboot wie dem Hua Hua oder dem Plastic Jam am Ufer der Save einplanen. Ein besonderes Vergnügen ist eine Rakija-Verkostung (www.rakiabar.com), die Rakia Bar organisiert auch 2,5-Stunden-Touren. Auf keinen Fall sollten sie unnötige politische Diskussionen über die Balkan-Kriege oder das Kosovo anzetteln – zumal Belgrad längst auch wieder beliebtes Reiseziel für einst verfeindete Ex-Mitbürger ist.

Wetter
Im Hochsommer bis September sind 40 Grad keine Seltenheit, dann schafft auch Belgrads Klimaanlage, der kühle Wind des Kosava, wenig Erfrischung.

Weitere Informationen
Nationale Tourismus Organisation Serbien, Decanska 8, YU-11000 Belgrad, Im Internet unter www.serbia-tourism.org, außerdem unter www.beograd.org.rs (auch auf Deutsch).