Henning Scherf hat sich mit 50 Jahren bereits entschieden, in welcher Umgebung und mit welchen Menschen er bis ins hohe Alter leben möchte. Foto: Jens Noll

Henning Scherf, ehemaliger Bürgermeister von Bremen, berichtet in der Filharmonie in Bernhausen von alternativen Wohnformen für ältere Menschen.

Bernhausen - Hennig Scherf hat keine Berührungsängste. Noch vor Beginn seines Vortrags begrüßt der ehemalige Bürgermeister der Hansestadt Bremen alle Gäste mit Handschlag oder mit einem Schulterklopfen. Er setzt auf Gemeinschaft und fröhliches Miteinander – auch privat.

„Ich habe Angst vor dem Alleinsein und davor, dass niemand mehr da ist, der sich für einen verantwortlich fühlt“, gesteht der 74-Jährige. Vor acht Jahren hat der Sozialdemokrat seine politische Karriere beendet, nun reist er als Buchautor durch die Republik. In Vorträgen propagiert er die Idee von Senioren-WGs, also Wohngemeinschaften für ältere, auch pflegebedürftige Menschen.

Wohnen im Zentrum statt Wohnen im Grünen

Dass die Deutschen immer älter werden, macht dem promovierten Juristen keine Angst. Er fordert allerdings, Wege zu finden, damit die alternde Gesellschaft nicht auseinanderbricht. Seine erste Bitte: Senioren müssen mitten in der Gesellschaft leben. „Ich halte überhaupt nichts davon, Altendörfer zu bauen oder große Pflegezentren in der grünen Landschaft zu errichten“, sagt er am Mittwochabend vor etwa 100 Zuhörern in der Filharmonie.

Stattdessen sollten Senioren da leben, wo sie sich zuhause fühlen und die Menschen um sie herum kennen. Der Zwei-Meter-Mann weist dabei auf eine immense Schwachstelle in Zeiten des demografischen Wandels hin: „Die ganz große Mehrheit der Wohnungen ist nicht für die Alten gebaut, sondern für junge Familien.“

Scherfs zweiter großer Wunsch: „Ich will eine Gesellschaft, in der jeder nach seinen Möglichkeiten etwas tun kann.“ Der Begriff Ruhestand sei „zynisch“, er denke dabei an Psychiatriepatienten, die ruhiggestellt würden. Der Ex-Bürgermeister berichtet hingegen von einer Pflegewohngemeinschaft, die Hochbeete anlegt, damit Personen im Rollstuhl oder mit Rollator dort Unkraut jäten können. Auch für Demenzkranke eigne sich die Tätigkeit.

Der Referent regt an, mit anderen unter ein Dach zu ziehen. Er selbst hat das mit seiner Frau vor 25 Jahren getan, nachdem die drei Kinder ausgezogen waren. Mit Gleichgesinnten hat das Ehepaar ein Haus mitten in Bremen gesucht – und gefunden. Die Beteiligten verkauften ihre Eigenheime und investierten in das neue Domizil, das in sieben Wohnungen aufgeteilt wurde.

Platz für 25 Gäste

Laut Scherf können die zehn Bewohner zu bestimmten Anlässen bis zu 25 Gäste aufnehmen – ideal, um mit Geschwistern, den eigenen Kindern und Enkeln zusammenzukommen. Die Singles unter den Bewohnern hätten sich integriert, Schicksalsschläge hätten die Gemeinschaft enger zusammengeschweißt. Er erzählt von Schlaganfallpatienten, die von den Mitbewohnern unterstützt werden. Zwei Personen seien sogar bis zu ihrem Tod im Haus gepflegt worden. Auch für den 74-Jährigen und die restlichen Mitbewohner steht fest: „Wir wollen in unserem Haus bleiben bis zu unserem Tode.“ Ein Vertrag mit einer Pflegeeinrichtung soll die Betreuung sicherstellen, falls alle bettlägerig werden sollten.

Nach dem Vortrag fasst ein Zuhörer zusammen: „Wenn man in so einer Gemeinschaft leben will, dann muss man optimistisch sein und auf andere Leute zugehen können.“ Eine Zuhörerin hat Interesse an einer solchen Wohnform, fürchtet aber mögliche Konflikte. Scherf empfiehlt, bei einem gemeinsamen Urlaub zu prüfen, ob das Zusammenleben mit den potenziellen Mitbewohnern klappt. Denn: „Mit Konflikten umzugehen, muss man richtig lernen.“