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Zahlreiche organische Erkrankungen lassen sich an Sehstörungen erkennen - ein Überblick.

Stuttgart - Wer plötzlich schlecht sieht, entzündete oder schmerzende Augen hat, sucht einen Augenarzt auf. Der entdeckt manchmal Erkrankungen, von denen der Patient bisher nichts wusste: Veränderungen an Gefäßen, Sehnerv, Netz- oder Bindehaut deuten oft auf Störungen an ganz anderer Stelle des Organismus hin.

Wenn ein erfahrener Augenarzt wie Gangolf Sauder, Chefarzt an der Stuttgarter Charlottenklinik, einem Patienten in die Augen schaut, kann er dort sozusagen wie in einem Buch lesen. Denn die Augen sind nicht nur der Spiegel der Seele, wie der Volksmund sagt - manchmal zeigen sich dort die ersten Anzeichen für innere Erkrankungen, die den gesamten Körper betreffen und die ihre Ursache ganz woanders haben.

Alles, was die sogenannten brechenden Medien trübe mache, also Hornhaut und Augenlinse, oder was an der Netzhaut Veränderungen hervorrufe wie Entzündungen oder Störungen im Blutgefäßsystem, führe zu einer Sehverschlechterung - und dann suche der Patient in der Regel einen Augenarzt auf. Sauder: "Wir dürfen nie aber nur ans Auge denken."

Er legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass dies "nichts mit Irisdiagnostik" zu tun hat, "ich möchte mich klar von der esoterisch-philosophischen Schiene abgrenzen". Und erzählt von einem Fall aus dem vergangenen Jahr: Ein 18-Jähriger war mit einer Sehverschlechterung, hervorgerufen durch eine massive Netzhautentzündung, in die Klinik gekommen. Es stellt sich schließlich heraus, dass der junge Mann an einer Toxoplasmose litt. Diese Infektionskrankheit, die normalerweise harmlos verläuft, aber für Schwangere und Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich werden kann, hatte er sich bei einem Praktikum auf einem Bauernhof eingehandelt - Träger der Toxoplasmose-Erreger sind beispielsweise Katzen oder Schafe.

Beispiele für Erkrankungen, die bei einer Augenuntersuchung zutage treten können:

Blutungen oder Gefäßerkrankungen in der Netzhaut: Können auf Diabetes, Bluthochdruck oder rheumatische Erkrankungen hindeuten. Oder auch auf Infektionskrankheiten wie Syphilis oder HIV. Oder auf eine Infektion mit dem Zytomegalie-Virus (CMV), wie die Toxoplasmose normalerweise völlig harmlos und sehr weit verbreitet. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem können aber unter Umständen Blutungen am Auge auftreten.

Symptome und was sie bedeuten können

Plötzliche Sehverschlechterung: Kann in sehr seltenen Fällen auf einen Primär-Tumor im Auge hindeuten - zum Beispiel auf ein malignes Melanom (auf der Haut als schwarzer Hautkrebs bekannt). Kann jedoch auch Zeichen einer Metastase eines bis dahin unbekannten Primär-Tumors sein. Sauder: "Meist ist es aber umgekehrt. Eine Patientin hat etwa Brustkrebs und weiß das auch, in der Folge der Krebserkrankung entwickelt sich eine Metastase am Auge."

Sehverschlechterung durch entzündeten Sehnerv: Es sei gar nicht so selten, so Dr. Sauder, dass sich eine Multiple Sklerose (MS) zuerst durch eine Sehverschlechterung manifestiert. Ursache dafür ist die Entzündung des Sehnervs, die dazu führt, dass Farben blasser gesehen werden. Auch eine Gesichtsfeldeinschränkung kann auftreten.

Bindehautblutung (geplatzte Äderchen im Auge): Sieht oft sehr schlimm aus, ist aber meist fürs Auge harmlos, vor allem, wenn es nur einmalig vorkommt, etwa nach dem Heben schwerer Kisten oder auch nach einer Geburt (durch das Pressen hervorgerufen). Kann bei gehäuftem Auftreten auf Diabetes, Arteriosklerose, Bluthochdruck oder eine gestörte Blutgerinnung hinweisen.

Arteriosklerose an der Netzhaut: Bei einem Netzhautinfarkt, so Dr. Sauder, "geht dem Patienten schmerzlos das Licht aus - und nicht wieder an, wenn man nicht sofort eingreift." In einigen Fällen könne man die Sehkraft durch eine sogenannte Lyse, eine medikamentöse Auflösung eines Blutgerinnsels, retten. Ursache des Infarkts sei eine verkalkte Halsschlagader, aus der sich ein Plaque lösen könne. Das Blutgerinnsel könne entweder Richtung Gehirn transportiert werden, dann könne ein Schlaganfall die Folge sein, oder aber ins Auge.

Auch über die klassischen internistischen Erkrankungen hinaus gibt es in anderen Fachgebieten Augenbeteiligungen:

Doppelte Lidfalte unter dem Auge: Woher das kommt, ist nicht bekannt. Diese Erscheinung muss nicht, aber kann ein Zeichen für Neurodermitis sein.

Hervorstehende Augen: Schmerzen aufgrund von Austrocknung. Können Anzeichen einer Schilddrüsenerkrankung sein (Morbus Basedow).

Unregelmäßig angeschwollene Augenpartie: Ein Zeichen für Flüssigkeitsverschiebungen. Kann mit einer gestörten Nierenfunktion zusammenhängen.

Plötzliches Flimmern und Gesichtsfeldeinschränkung: Es gibt Arten von Migräne, bei denen ein Anfall mit Augensymptomen beginnt - oder sich auch darauf beschränkt.

Gelbfärbung der Augen/Bindehaut: Zeichen für eine Gelbsucht. Auch bei Säuglingen (Neugeborenengelbsucht).

Dr. Sauder: "Wichtig ist die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Hausarzt oder Internist zu unterstreichen, wenn es um Diagnostik und Prophylaxe vor allem von häufigen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck geht." Hier können Augenärzte wichtige Hinweise über Stadium der Erkrankungen oder die Therapienotwendigkeit geben, da sie Gefäßschäden bei den kleinsten Blutgefäßen an der Netzhaut entdecken können. "Und so, wie die Gefäße an der Netzhaut aussehen, so sieht es auch in Herz, Leber und Niere aus."