Flüchtlingsboot im Mittelmeer. Foto: dpa

Als neunte Stadt in Baden-Württemberg hat sich Tuttlingen der Initiative „Seebrücke“ angeschlossen. Sie will ein „sicherer Hafen“ für Geflüchtete sein. Alle 37 Stadträte stimmten dafür – auch der Vertreter der AfD.

Stuttgart - Die Zahl der „sicheren Häfen“ für Geflüchtete im Land wächst: Nach Freiburg, Karlsruhe, Heidelberg, Konstanz, Reutlingen, Rottenburg, Tübingen und Mehrstetten hat sich jetzt Tuttlingen der privaten Initiative „Seebrücke“ angeschlossen und sich bereit erklärt, freiwillig und unabhängig von Zuteilungsquoten, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Gleichzeitig forderte der Gemeinderat der 36 000-Einwohner großen Stadt im Süden Baden-Württembergs, die private Seenotrettung im Mittelmeer „nicht weiter zu kriminalisieren“. Bundesweit unterstützen bisher 73 Städte die Initiative.

In Tuttlingen setzte Oberbürgermeister Michael Beck den entsprechenden Impuls. Beck (58) ist Mitglied der CDU. Als Verwaltungsrichter war er in den 90er Jahren mit Asylverfahren befasst. In seinem Amt als Oberbürgermeister, das er seit 2004 innehat, startete er frühzeitig Integrationsprojekte. Mit der Unterstützung der „Seebrücke“ wollen er und der Gemeinderat ein Zeichen „für Menschlichkeit“ setzen. „Angesichts der humanitären Katastrophe werden wir nicht wegschauen“, erklärt er. „Da die Politik auf der großen Bühne nicht handelt, ergreift die Stadt Tuttlingen nun selbst die Initiative.“ Über die Bereitschaft, Geflüchtete aus dem Mittelmeer aufzunehmen, habe er Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) informiert.

„Menschen in Not darf man nicht absaufen lassen“

Besonders freut Beck, dass der Beschluss im Gemeinderat einstimmig fiel – also auch mit Unterstützung des einzigen AfD-Vertreters. Peter Stresing, ein 64-jähriger Fahrlehrer, gehört dem 37-köpfigen-Gremium seit der Kommunalwahl im Mai an. Dass er bei der Abstimmung für die „Seebrücke“ den Arm hob, erklärt er damit, dass der Antrag im Gemeinderat „ohnehin durchgegangen wäre“. Zudem orientierten sich auch AfD-Mitglieder am christlichen Menschenbild. „Wenn jemand in Not ist, dann darf man ihn nicht absaufen lassen. Das ist Fakt“, sagt Stresing auf Anfrage. Er habe großes Vertrauen in OB Beck. Außerdem könne man die Flüchtlingsaufnahme so vielleicht besser koordinieren als 2015. „Man muss der Realität ins Auge sehen und das Beste daraus machen.“ Die 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Bewegung „Seebrücke“ fordert unmissverständlich: „Deutschland muss bis auf Weiteres alle im Mittelmeer Geretteten aufnehmen!“

Der AfD-Stadtrat hat früher im Integrationsbeirat mitgearbeitet

Stresing ist der AfD vergangenes Jahr beigetreten, weil er sich von den anderen Parteien nicht angemessen vertreten sah, hält sich jedoch nicht für „so rechtskonservativ wie andere in der AfD“. Ich befinde mich in der Mitte und möchte ausgleichend wirken“, betont er. Mit Geflüchteten hatte Stresing nach eigenen Worten schon „intensiven Kontakt“; einige Jahre lang gehörte er dem ehrenamtlichen Integrationsbeirat der Stadt Tuttlingen an. Dabei stellte er fest: „Manche der Ankömmlinge sind integrationswillig, andere nicht.“

Der AfD-Stadtrat und „Seebrücke“-Befürworter aus Tuttlingen wählt andere Töne als etwa der AfD-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Bernd Gögel. Der attackierte Ministerpräsident Kretschmann am Dienstag scharf, weil dieser die AfD für das Phänomen der gesellschaftlichen Verrohung mitverantwortlich macht. Gögel klingt so: „Es war zweifelsfrei nicht die AfD, die Zehntausende Mörder und Ehrenmörder, Vergewaltiger, Kinderschänder und fanatisierte Sharia-Islamisten ins Land gelassen und sie förmlich nach Deutschland gelockt hat.“