Seit einem Jahr schon kickt die All-Inklusiv-Mannschaft des TSV Musberg. Marco Pisacreta (hinten 3. von rechts) hat das Team auf die Beine gestellt. Foto: TSV Musberg

Marco Pisacreta hat zwar eine Inklusionsmannschaft auf die Beine gestellt, die gut funktioniert. Doch ein normaler Job auf dem ersten Arbeitsmarkt scheint für ihn in unerreichbarer Ferne. Der 22-Jährige aus Stuttgart-Vaihingen will nicht zurück in die Behindertenwerkstatt.

Vaihingen - Widriger können die Ausgangsbedingungen kaum sein. Die rechte Hälfte seines Körpers ist motorisch massiv eingeschränkt, das Lernvermögen mitunter verlangsamt. Aber Marco Pisacreta gibt nicht klein bei. Er will sich nicht begnügen mit dem engen Radius, den man ihm zubilligt, will sich nicht fügen in eine vorgezeichnete Berufsbiografie, in eine vorgeplante Freizeitgestaltung.

Den zweiten Platz hat seine Mannschaft am Samstag beim Handicap-Turnier in Sonthofen gemacht. Marco Pisacreta hat alle Welt sofort per Whatsapp darüber informiert. Er ist stolz wie Bolle. „Es war unser erstes Turnier!“ Als er die Mannschaft vor ziemlich genau einem Jahr zusammentrommelte, war völlig unklar, ob sie stark genug werden, ob sie das Jahr überleben würde. Jetzt kicken 19 Jungs und Männer mit und ohne Behinderung in der Inklusionsmannschaft, den der TSV Musberg unter seine Vereinsfittiche genommen hat. Immer montags, 18 Uhr, ist Training. Nur Mädchen fehlen, konstatiert Pisacreta bedauernd.

Dieselben Sehnsüchte wie andere in seinem Alter

Der junge Mann aus Vaihingen hat Ehrgeiz. „Ich will die Mannschaft entwickeln, und ich will eine Liga aufbauen!“ Er würde sich um den Kader kümmern, sein Trainer um das Sponsoring, erläutert er die Planung. Wenn es erst mal acht bis zehn Inklusionsmannschaften in der Stadt gäbe, wäre auch deren politische Schlagkraft größer: Man könnte an die Stadt herantreten, Mittel und Räume einfordern. Und: „Gehandicapte in anderen Stadtteilen hätten auch die Möglichkeit, in einer Mannschaft zu kicken.“

Der 22-Jährige träumt, wovon die meisten jungen Leute träumen. Die Teilnahme an Freizeitangeboten karitativer Einrichtungen gehört nicht so dazu. Pisacreta ist zwar behindert, lebt deswegen aber nicht auf einem anderen Stern. Er sieht dieselben Youtube-Videos, scrollt sich auf Instagram durch dieselben Traumstrandfotos und liebt dieselben Netflix-Serien wie andere Leute seines Alters. Und all diese Bilder schüren auch in ihm Sehnsüchte. Gemessen daran sind seine Forderungen bescheiden.

Für Behinderte sei in Stuttgart zu wenig geboten, klagt er. „München ist da viel besser! Und dort gibt es auch 28 Mannschaften, die Inklusionsfußball anbieten“, hat Pisacreta recherchiert. Seine Devise: Da geht mehr – auch in Stuttgart. Er will sich jetzt an die Politik wenden. OB Kuhn hat er bereits angeschrieben und einen Termin mit der Behindertenbeauftragten der Stadt bekommen. Auch Landespolitiker stehen auf Pisacretas Liste. „Ich muss mit diesen Leuten über Inklusion sprechen!“ Er ist nicht gewillt, die Dinge einfach hinzunehmen, doch er weiß, wie mühsam es ist, Veränderungen durchzusetzen. „Ich bin erst am Ende, wenn in Stuttgart alles so ist, dass ich zufrieden bin. Ich weiß, das kann eine Weile dauern. Vielleicht bin ich bis dahin auch schon alt.“

Zurück in die Behindertenwerkstatt?

Auch beruflich hat Pisacreta Wünsche und Ansprüche, mit denen er ausschert aus den gespurten Loipen. Er hat bereits in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet. „Acht Stunden dasselbe machen. Das ist monotone Arbeit. Ich fühle mich da nicht zuhause. Ich fühle mich an so einer Arbeitsstelle nicht integriert.“ So ist Pisacreta nun schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem Job in einem „normalen“ Betrieb. Das ist schwierig, nicht allein wegen der Behinderungen, sondern auch, weil Pisacreta keinen Schulabschluss vorzuweisen hat. „Aber ich kann mehr, als mir die Leute zutrauen. Immerhin habe ich es geschafft, eine Fußballmannschaft aufzubauen!“ Alle hätten ihm vorher gesagt, das sei nicht hinzukriegen. „Aber ich hab’s geschafft. Und wissen Sie auch wie?“ Pisacreta macht eine Kunstpause und blickt sein Gegenüber an, ohne ernstlich die richtige Antwort zu erwarten: „Man muss die richtigen Menschen dafür finden!“ Rhetorik kann er gut. Ob ihm das bei der Jobsuche hilft?

„Ohne Job geht es gar nicht.“ Wenn alle Stricke reißen, wenn er auf dem ersten Arbeitsmarkt leer ausgeht, wird Pisacreta wieder allmorgendlich mit den anderen zur Behindertenwerkstatt fahren. Und wenn er nicht daran verzweifeln will, wird er den Traum vom normalen Berufsleben loslassen müssen, wie einen Gas befüllten Luftballon.