Faszinierende Seifenblasen: Margret Wannenmacher setzt sich für behinderte Kinder in einem Heim in Johannesburg ein. Foto: Wagner

Vielen Kindern in Südafrika geht es schlecht, weil die Heime von der Regierung vernachlässigt werden. Eine Schwäbin sammelt Spenden, um die Not zu lindern. Unser Autor hat sie in ein Township begleitet.

Johannesburg - Margret Wannenmacher weiß, wie es ist, eine Fremde zu sein. Als weiße Frau in einem Kleinwagen, allein im Township Ivory Park. In einem der ärmsten und gefährlichsten Stadtteile der Welt – in Johannesburg, Südafrika. Ausschließlich dunkelhäutige Menschen leben dort. Sie braust vorbei an Wellblechhütten, vorbei an Straßenverkäufern und Bettlern. An Kindern, die im Müll wühlen. Verfolgt von misstrauischen Blicken. Eine weiße Frau ist hier nicht willkommen.

Wenig später ist das vergessen. Dann sitzt Margret Wannenmacher mitten im Township in einem Behindertenheim. Sie gibt einem mehrfach behinderten Kind zu essen. Eine dampfende, grünlich-gelbe Pampe aus Maisbrei, Bohnen und Fisch. Das Heim – Tumelo Home – (deutsch: Heimat des Glaubens) ist ein Zufluchtsort für Ausgestoßene.

Die zierliche Schwäbin mit den kurzen blonden Haaren nimmt den Weg durch die gefährlichen Straßen auf sich, um zu helfen. Sie kennt gruselige Geschichten. Von Kindern, deren Eltern sie verkaufen wollten, weil sie behindert waren. Bestenfalls an Zuhälter. Wenn sie Pech hatten, an Organhändler. Seit Wannenmacher vor zehn Jahren zum ersten Mal dort war, hat sie geholfen, dass dies nicht mehr passiert. Die 66-Jährige verdankt es einer glücklichen Fügung, dass sie auf diese Einrichtung gestoßen ist. „Eine Jugendfreundin hat jahrelang in einer anderen Behinderteneinrichtung in Johannesburg gearbeitet“, erzählt sie. „Als ich sie besuchte, führte mich eine ihrer Kolleginnen nach Tumelo.“

Etwa fünf Wochen pro Jahr verbringt Margret Wannenmacher in Afrika

Eingezäunt hinter mannshohen Mauern thront das Heim wie eine Festung im Elendsviertel. Gebaut aus roten Ziegeln, ohne Putz, wirkt es im Vergleich zu den Häusern der Armen, die ein Herbstwind in Deutschland wegfegen würde, fast schon prächtig. Trotzdem: Was Wannenmacher dort sah, schockierte sie. Behinderte Kinder mit spastisch verformten Armen und Beinen lagen auf den Matratzen. Der Geruch des Drecks biss in der Nase. Fliegen und Ratten überall. Die Pflegerinnen saßen tatenlos herum.

Seitdem vergeht kein Tag, an dem Wannenmacher nicht irgendetwas für Tumelo tut. Das ganze Jahr über ackert sie von zu Hause aus, organisiert Benefizkonzerte, hält Vorträge und sammelt Spenden. Tumelo Home gehört zu ihrem Leben. Etwa fünf Wochen pro Jahr verbringt sie in Johannesburg.

An einem Vormittag haben die Kinder etwas vorbereitet. „We love you, Mama Tumelo“, steht in bunten Buchstaben auf einem Bettlaken, das sie mit Hand- und Fußabdrücken verziert haben. Wannenmacher stehen Tränen in den Augen. Mutter von Tumelo – das ist jetzt ihr afrikanischer Name. „Das war meine Idee“, sagt Sello Ramakwela. Die 26 Jahre alte Betreuerin hätte ohne Wannenmacher vielleicht nicht einmal einen Job im Township gefunden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Vor allem für junge Mütter wie Ramakwela gibt es kaum Perspektiven. „Mama Tumelo ist die gute Seele des Heims, und wir danken Gott jeden Tag, dass er sie geschickt hat“, sagt sie.

Das Gehalt der Betreuer kommt aus deutschen Spendentöpfen

Die „weiße Lady“ hat in Tumelo Home viel geändert. Wannenmacher stellte die Beschäftigungstherapeutin Brenda Pillay ein, die sich um die Ausbildung der Betreuerinnen kümmert. Unter ihrer Führung werden aus schüchternen Schulmädchen selbstbewusste Pädagoginnen. Pillays Gehalt kommt aus deutschen Spendentöpfen. Wenig später besorgte die Schwäbin einen Stromgenerator. Und dann wurde noch eine Bäckerei eröffnet – untergebracht in einem Schiffscontainer im etwa handballfeldgroßen Hof, ausgestattet mit einer Teigmischmaschine und einem Backofen.

Mehr als 100 000 Euro hat sie bisher an Spenden geholt, rechnet Wannenmacher vor. Gemeinsam mit Heimleiter Solomon Khuthama steht sie nun in der Bäckerei und tut das, was sie immer tut, wenn sie in Tumelo ist. Sie berät. Die Backstube soll Geld bringen. Jährlich, sagt Khuthama, benötigt er 100 000 Euro.

Im aufgeheizten Container ist es bald nicht mehr auszuhalten. Dann gehen sie auf den Hof, wo die Kinder auf der verdorrten gelben Wiese Ball spielen. Die Sonne knallt auf ihre Köpfe. Das stört sie aber nicht. Sie werfen einen Ball nach dem anderen in den Basketballkorb. Die Pflegerinnen applaudieren bei jedem Treffer.

Sechs Frauen kümmern sich um 18 Kinder

Zur Mittagszeit gibt es an jeder Ecke des Elendsviertels gegrilltes Fleisch. Rauchschwaden ziehen durch Tumelo, ein intensiver Geruch breitet sich aus. Die Musik einer angrenzenden Werkstatt, zu der die Kinder, die es können, gerne tanzen, dringt aus dem Township herüber. Aber die Idylle trügt. Stacheldraht ist über den Mauern gespannt, der die Kinder zu Gefangenen im eigenen Land macht. „Genau deshalb will ich nie in Südafrika leben“, sagt Wannenmacher und wirft den Ball noch schnell in Richtung Korb, ehe die Sporteinheit endet.

Der Stundenplan ist streng getaktet. Von acht bis 14 Uhr gibt es ein Programm für die Kinder. Am Dienstagvormittag zum Beispiel müssen Geräusche erraten werden. Danach folgen Sprachübungen. Betreuerin Ramakwela hält eine Plastikpaprika in die Höhe. „Wer kann mir zeigen, was das ist?“, ruft sie und deutet auf ein Plakat voller Gemüsebilder. Nach und nach muss jedes Kind unter den Anfeuerungen der anderen auf das richtige Bild deuten. Margret Wannenmacher sitzt daneben und freut sich, wenn es klappt.

Das Mittagessen ist die nächste Herausforderung. Wannenmacher hilft dabei. Der Betreuungsschlüssel in dem Heim würde jedem deutschen Pfleger vor Schreck die Schüssel aus der Hand fallen lassen. Sechs Frauen kümmern sich um 18 Kinder. „Wir sind so viele, weil wir heute eine Schulung hatten, bei der alle da waren“, sagt Ramakwela trotzdem fast entschuldigend. Normalerweise betreuen drei Frauen 20 Kinder. Die anderen 16 Bewohner versorgen sich selbst. Kinder liegen auf dem Boden. Essen klebt ihnen im Gesicht. Andere laufen durch die Gegend, mit Nudelresten auf den Schultern. Daran, wie es vor ihrer Zeit war, will Wannenmacher gar nicht denken. Fliegen und Ratten gibt es heute noch – die Müllberge locken sie.

Bei jedem Abschied kullern die Tränen

Dass es den Kindern in Südafrika so schlecht geht – vor allem den Dunkelhäutigen – liegt daran, dass die Regierung unregelmäßig zahlt, sagt Heimleiter Khuthama: „80 Prozent unserer Einnahmen kommen vom Staat. Wenn der aber mal nicht will, zahlt er einfach nicht.“ Eine Ratte huscht durch sein Büro. Khuthama nimmt sie nicht wahr. „Ohne die Spendengelder würde es nicht funktionieren“, sagt er. „Margret ist wirklich die Mutter von Tumelo.“

Er lächelt und blickt die Deutsche an, als wäre sie eine Heilige. „Manchmal muss ich aufpassen, dass ich nicht abhebe, so dankbar, wie sie zu mir sind“, sagt sie und nimmt den Südafrikaner in den Arm. Seit Jahren verbindet die beiden eine enge Freundschaft. Wenn Wannenmacher wieder zu Hause in Walddorfhäslach bei Tübingen ist, halten sie Kontakt über Telefon und E-Mails. Trotzdem kullern bei jedem Abschied Tränen. Wenn sie geht, lässt sie auch Mama Tumelo hinter sich.

Dort im Township weiß niemand, was sie für die Kinder am unteren Rand der südafrikanischen Gesellschaft tut. Dort ist sie nur eines: die fremde weiße Lady. Aber eine, die unverzichtbar geworden ist.