„Bezahlen wollte niemand“: Der Tiefenbronner Gastronom Theo Jost versuchte vergeblich, seine Nachbarn an den Kosten für einen Sicherheitsdienst zu beteiligen. Foto: dpa

Die Polizei ist sich sicher: Nichts geht über die wachsamen Augen der Nachbarn. Doch reagieren sie wirklich, wenn sie einen Einbrecher bemerken? Verlassen sollte man sich darauf nicht, denn viele haben Angst vor den Folgen.

Tiefenbronn - Die Polizei streitet alles ab. „Wir? Einen Einbruch fingiert? Quatsch!“, antworten die Offiziellen, wenn man sie auf eine Geschichte anspricht, die vor einiger Zeit im Großraum Stuttgart spielte. Eigentlich fand ja auch kein „Bruch“ statt, es wurde auch keine Straftat aktenkundig. Und doch haben ein paar Polizisten privat getestet, was eigentlich passiert, wenn man am helllichten Tag ein Fenster knackt und dann Wertgegenstände aus dem Haus trägt (es war übrigens ihr eigenes).

Ihre Erfahrung: Es passiert nicht viel. „Ein Mann stand rauchend auf dem Balkon, hat aber nicht Alarm geschlagen“, berichtet ein Beamter, der dabei war. Als er die Nachbarn später ansprach und sie fragte, ob sie etwas bemerkt hätten, schüttelten viele den Kopf oder drucksten herum. Lediglich ein elfjähriger Junge habe seiner Mutter aufgeregt gemeldet: „Mama, ich glaube, da wird eingebrochen.“

Experte: Nachbarn haben Angst

Helfen Nachbarn also gar nicht, wenn es darum geht, Wohnungseinbrüche zu verhindern? Polizei und Versicherungswirtschaft knüpfen doch seit Jahren diesen Zusammenhang. Und es stimmt wohl auch: Öffentlichkeit an sich hat eine hohe Schutzwirkung. Das hat auch eine Studie der Universität Bochum ergeben, die Täter befragt hat: Danach vermeiden Einbrecher tunlichst das Risiko, von Zeugen gesehen zu werden.

Warum reagieren Nachbarn aber häufig nicht? „Viele haben Angst, dass sie den Einsatz bezahlen müssen, wenn es am Ende Fehlalarm war“, sagt Jürgen Kappler, Chef einer großen Pforzheimer Sicherheitsfirma. Er war früher selbst beim freiwilligen Polizeidienst und weiß, was Nachbarn so durch den Kopf geht, wenn es nebenan knackt.

Die Kosten für den Einsatz bleiben jedenfalls nicht an ihnen hängen, wenn der Alarm nicht mutwillig gegeben wurde. Hier hält Kappler noch mehr Aufklärung der Bevölkerung für nötig.

Fenster knacken in Sekunden

„Manche denken auch: Bestimmt haben andere schon die Polizei alarmiert“, sagt Kappler. Das aber fällt in die Kategorie Kommunikation – und daran können die Nachbarn selbst arbeiten. Denn Aufmerksamkeit und Engagement entwickelt sich nicht von selbst. Die Bereitschaft zum Hinschauen will gefördert sein, die Kontakte zu Bewohnern im Haus oder in derselben Straße benötigen Pflege. Bei den Personen im eingangs geschilderten Fall kann es damit nicht weit her gewesen sein.

Häufig bekommen es Nachbarn aber gar nicht mit, wenn sich Profis nebenan zu schaffen machen. Kappler: „Normale Kunststofffenster knacken die in wenigen Sekunden ziemlich leise.“ Vor allem im Winter, wenn die Hausbesitzer oft schon am Nachmittag die Rollläden schließen, bleibt der Lärm einfach draußen.

Am hilfreichsten sei der Nachbar dann, wenn er den Briefkasten leert und schaut, dass die Rollläden tagsüber oben, nachts aber geschlossen sind, sagt Thomas Feltes, Kriminologe an der Uni Bochum und früherer Rektor der Polizeihochschule Baden-Württemberg. Er ist überzeugt: Je aktiver die Bürger und je stärker ihr Zusammenhalt, desto geringer sei die Kriminalitätsbelastung und umso höher die Aufklärungsquote.

Briefkasten leeren und Rollläden bewegen

In Mehrfamilienhäusern ist das besonders wichtig. Anonyme Blocks, in denen nicht selten die Haustür offen steht, sind für Böswillige ein willkommenes Gelände für Beutezüge. „Die Einbruchgefahr kann jeder senken, der Unbekannte freundlich, aber direkt nach ihrer Absicht fragt“, empfiehlt etwa die R+V-Versicherung.

Zurückhaltend reagieren Politik und Polizei allerdings, wenn Bürger selbst versuchen, Sicherheit zu organisieren. So geschehen im vergangenen Jahr im kleinen Ort Tiefenbronn bei Pforzheim. Als der Hotelier Theo Jost gleich zweimal innerhalb einer Woche Opfer von Einbrechern geworden war, setzte er sich mit  dem Sicherheitsexperten Kappler zusammen und ließ sich ein Schutzkonzept erarbeiten.

„Die sind stundenweise mit ihren Fahrzeugen Streife gefahren, und das hat gewirkt“, sagt der Wirt des Traditionshotels Ochsenpost. Auch mit Hunden ging das Wachpersonal durch den Ort. Ein halbes Jahr lang hat Jost den Service aus eigener Tasche bezahlt, was ihm den (unberechtigten) Ruf eines Bürgerwehr-Gründers, vor allem aber deutschlandweit Popularität eingetragen hat. Selbst ARD-Moderatorin Sandra Maischberger ließ ihn in ihrer Talkshow zu Wort kommen.

Gall will keine Bürgerwehr

Landesinnenminister Reinhold Gall hingegen reagierte pikiert und pochte auf das staatliche Gewaltmonopol: „Eine Bürgerwehr, auch wenn sie gut gemeint ist, entspricht nicht den rechtsstaatlichen Grundsätzen.“

Die Sache erledigte sich dann ohnehin, denn als es um die Kostenbeteiligung von 50 Euro im Monat ging, war es mit der nachbarschaftlichen Solidarität nicht weit her. „Alle waren begeistert, aber zahlen wollte niemand“, erinnert sich Jost. Jetzt hilft er sich halt wieder selbst, hat eine Alarmanlage installiert und schaut häufiger nachts nach dem Rechten.

Vom Staat fühlt er sich im Stich gelassen, denn nach Feierabend sei in dem Ort unweit der Autobahn der Polizeiposten nicht besetzt. Seit der Wachdienst nicht mehr Streife fahre, werde in Tiefenbronn wieder mehr eingebrochen, glaubt Jost. Doch solange die Nachbarn den Sinn des Selbstschutzes nicht einsähen, will er nicht noch einmal so viel Geld investieren: „Das müsse die alle erst am eigenen Leib erfahren.“