Christian Baudenbacher vom Behindertenzentrum Stuttgart demonstriert bei der Schulung, wie er mit Blisstafel und Sprachcomputer kommuniziert. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Menschen, die sich nur schwer äußern können, haben es als Patienten schwer. Das Diakonie-Klinikum schult das Personal, mit dieser Klientel besser umzugehen. Dessen Trainer sind schwerstbehinderte Bewohner des Behindertenzentrums Stuttgart.

Stuttgart - Ins Krankenhaus? Bloß nicht! So fiel oftmals die Reaktion aus, wenn ein Bewohner des Behindertenzentrums Stuttgart (BHZ) zu einer Behandlung in eines der Stuttgarter Häuser eingeliefert werden sollte. Viele von ihnen hatten beschämende, manche sogar lebensbedrohliche Momente dort erlebt. Man hatte auf ihre individuellen Bedürfnisse keine Rücksicht genommen, man hatte sie noch nicht einmal danach gefragt. Das BHZ ergriff die Konsequenzen und initiierte 2013 gemeinsam mit dem Diakonie-Klinikum ein Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse inzwischen in die Tat umgesetzt sind: Seit diesem Jahr gibt es ein Schulungsangebot für das pflegerische und medizinische Personal, das aus erster Hand erfährt, wie behinderte Menschen ticken.

„Viele Ärzte und Pflegerinnen halten mich für geistig schwer behindert, da sie sich an meinem Aussehen und an der mangelnden Sprachfähigkeit orientieren“, sagt Sabina Leonie. Sie besucht die Förderstätte des BHZ und hatte ihre Erfahrungen bereits während des Forschungsprojekts zusammengetragen. Hier im Vortragssaal des Diakonie-Klinikums weist sie als eine von drei Trainern nochmals auf wesentliche Kommunikationsprobleme hin: „Entweder, man redet viel zu laut und viel zu langsam mit mir, oder es wird über meinen Kopf hinweg geredet, weil man mir intellektuell nichts zutraut.“ Bei einem Krankenhausaufenthalt wäre sie fast erstickt, weil man ihr das Essen falsch zubereitet hatte.

Wo Technik wirklich hilft

Das Krankenhauspersonal hingegen empfindet es als Defizit, dass es schlecht vorbereitet wird auf solche Patienten: „Ich bin der Situation dann völlig ausgeliefert, habe keinerlei Hintergrundinfos über den Patienten und der Schichtwechsel stört zudem das Vertrauensverhältnis“, sagt eine Teilnehmerin der Schulung. „Der Kontakt zu Angehörigen ist hilfreich“, sagt Schwester Tabea, „so lernen wir auch Signale zu deuten“. Aber wer nicht geübt ist, hat „Schwierigkeiten, vor allem in Situationen, wenn alles ganz schnell gehen muss“, sagt ein Pfleger. Zudem haben immer mehr Behinderte keine Angehörigen mehr. Wer 50 Jahre und älter ist, hat seine Eltern oft bereits verloren.

Dabei kann sich Sabina Leonie ausgezeichnet über ihre Blisstafel, eine Symboltafel, verständlich machen. Christian Baudenbacher hat sogar eine Kombination aus Blisstafel und Sprachcomputer. Was der schwerst mehrfach behinderte Mann sagen will, erscheint für seinen Gesprächspartner auf einem Display. Seit August hat er diese technische Hilfe, und er will sie nie mehr hergeben.

Schon die Aufnahme ins Krankenhaus ist entscheidend

Schwester Jasmin macht den Test: „Haben Sie Durst?“, fragt sie. Baudenbacher sucht mit der spastisch verkrümmten Hand die passende Taste. Das ist schwer für ihn, denn der Arm scheint ein Eigenleben zu führen. Schließlich drückt er eine Taste. „Nein“, leuchtet auf. Pfleger Clemens will wissen: „Was ist Ihr Lieblingsessen?“ Der Mann antwortet: „Fisch.“ Schwester Irina setzt die Konversation fort: „Was machen Sie in Ihrer Freizeit?“ „Schach spielen“, taucht auf dem Display auf. „Herr Baudenbacher hat bisher noch jeden im BHZ geschlagen“, sagt Rainer Gemeinhardt, der Leiter der Beruflichen Bildung im BHZ.

Zu oft wird über den Kopf der Betroffenen hinweg nur mit den Angehörigen geredet und nur mit ihnen Blickkontakt gesucht. „Fragen sie sich immer selbst: Wie versteht mich mein Patient? Kann er mich hören? Kann er mich verstehen?“, lernen die Schwestern und Pfleger im theoretischen Teil der Schulung. Sieht der Patient mich und das, was ich tue? Will der Patient mit mir sprechen, und wenn, wie? Auch das sei erst einmal klarzustellen. Schon bei der Aufnahme würden die Weichen gestellt: Am besten, es sind schriftlich die wichtigsten Gewohnheiten, Bedürfnisse und Eigenheiten des Patienten festgehalten. „Wir wurden schon in der Ausbildung ganz gut auf dieses Thema vorbereitet“, sagen viele Schwestern. Manches sei aber auch völlig neu. Der Tag helfe, sie für weitere Probleme und Fragen zu sensibilisieren, meinen Schwester Jasmin und Pfleger Clemens. Sie lernten, „in welche Fallen wir tappen“.

Andere Kliniken sind im Aufbruch

Sieben solcher Schulungen bieten BHZ und Diakonie-Klinikum pro Jahr an. „Inzwischen haben sich mehr als 200 Beschäftigte aus der Pflege- und Bettenabteilung daran beteiligt“, sagt Frank Weberheinz, der Pressesprecher des Diakonie-Klinikums. Die Rückmeldungen seien durchweg positiv: die Schulung baue Hemmschwellen ab und stelle klar, dass auch mit schwerbehinderten Menschen Kommunikation möglich sei. Aus dem BHZ ist zu hören: Alle drei Trainer seien motiviert und begeistert bei der Sache und „hinterher ziemlich glücklich, wenn auch etwas angestrengt“, berichtet Weberheinz.

So weit sind andere Kliniken noch nicht. Das Robert-Bosch-Krankenhaus immerhin ist auf dem Weg. Es arbeitet seit dem Jahr 2012 mit der Lebenshilfe Stuttgart zusammen und hat ein „Medizinisches Zentrum für Menschen mit Behinderung“ initiiert. Damit soll die medizinische Versorgung des Personenkreises verbessert werden. „Die Schulung der Manager soll in den Kooperationskliniken erfolgen, darunter auch im Robert-Bosch-Krankenhaus“, teilt die Pressestelle mit.

Das Klinikum Stuttgart hat laut Auskunft der Pressestelle keinen Beauftragten, der die Aufnahme in speziellen Fällen moderiert. Der Umgang mit körperlich behinderten Patienten sei Bestandteil der Ausbildung des Personals, für den Umgang mit Patienten mit geistiger Behinderung, mit Demenz oder etwa nach Operationen gebe es spezielle Kurse, allerdings auf freiwilliger Basis. „Die Kurse sind trotzdem sehr gut besucht“, sagt Pressesprecher Frank Westbomke. Wie viele Patienten mit Behinderung behandelt wurden, sei schwer zu erheben und deshalb nicht dokumentiert, meint der Sprecher. Mit einer Zunahme bei steigendem Alter der Patienten ist zu rechnen.