Wer Rektor ist, hat viel weniger Unterricht, dafür mehr Verwaltungs-und Organisationsaufgaben. Foto: dpa/Marijan Murat

Laut einer repräsentativen Studie, bei der 405 Rektoren befragt wurden, gab die Hälfte an, gestresst und überlastet zu sein. Wer will diesen Job heute noch machen? Drei Schulleiter berichten.

Stuttgart - Thomas Böttner hatte von den Sommerferien nicht viel. Für eine Woche am Bodensee hat die Zeit gereicht, ansonsten verbrachte der kommissarische Schulleiter des Elisabeth-Selbert-Gymnasiums (ESG) seine Ferien an der Schule in Filderstadt-Bernhausen. Es gab viel zu tun: „Eine Schule wie das ESG zu übernehmen, ist eine Herausforderung“, sagt er. „Dazu noch den Schulbetrieb unter Pandemiebedingungen zu organisieren, das gibt der Aufgabe natürlich eine besondere Würze.“

Suche nach Nachfolgern aufwendiger als früher

Dass sich der 49-Jährige um diese Dinge kümmern muss, war so nicht geplant: „Ich war bisher davon überzeugt, dass ich nie Schulleiter werde“, verrät er. Nun also doch – zumindest kommissarisch, bis ein Nachfolger für die inzwischen verabschiedete Ursula Bauer gefunden ist. Sie wollte sich eigentlich schon vor zwei Jahren in den Ruhestand verabschieden, doch auch damals fand sich kein Ersatz.

Wie das Regierungspräsidium (RP) Stuttgart mitteilt, beginnt „das Verfahren zur Wiederbesetzung der Stelle“ erst in Kürze. Insgesamt sei die absolute Zahl an Bewerbungen auf freie Schulleiter-Stellen in den vergangenen Jahren nicht zurückgegangen. Jedoch würden – anders als noch vor wenigen Jahren – „durch die Pensionierungswelle“ mehr Stellen frei, während es gleichzeitig weniger Lehrer im Alter zwischen 45 und 55 Jahren gebe. „Diese Alterskohorte ist jedoch die, aus der sich in der Regel angehende Führungspersonen speisen“, so das RP. Daher gestalte sich die Suche nach Schulleitern aufwendiger als noch vor einigen Jahren.

„Manager, Personalchef und Vorgesetzter in einem“

Für Böttner hat die schleppende Suche mehrere Gründe: „Das Auswahlverfahren ist sehr streng. Zudem ist das ESG sehr groß, da ist vielleicht eine kleinere Schule attraktiver“, sagt er. „Und die Fußstapfen der früheren Schulleiterin sind groß.“ Die Situation am ESG ist kein Einzelfall. Auf der Seite des Staatlichen Schulamts Stuttgart werden Rektoren für die Schloss-Realschule, die Realschule Ostheim und die Steinhaldenfeldschule gesucht.

Laut der repräsentativen Studie „Leadership in German Schools“, an der Wissenschaftler der Uni Tübingen maßgeblich beteiligt waren und bei der 405 Rektoren befragt wurden, gab die Hälfte an, gestresst und überlastet zu sein. Böttner überraschen diese Ergebnisse nicht: „Dieser Job fordert einen unglaublich und kann einen auch an den Rand dessen bringen, was man leisten kann“, sagt der 49-Jährige. „Man ist quasi Manager, Personalchef und Vorgesetzter in einem.“

Viel weniger Unterricht, mehr Verwaltungsaufgaben

Ein Rektor von einer Schule auf den Fildern will sich auf die Anfrage unserer Zeitung nicht mit seinem Namen äußern. Er berichtet: „Es liegt viel in unserer Verantwortung, was eigentlich nicht in unserer Verantwortung liegt. Ich würde den Job unter den heutigen Konditionen nicht mehr machen.“

Eine, die den Job nach wie vor gerne macht und nicht ans Aufhören denkt, ist Erika Diemer-Hohnholz. Sie ist seit 20 Jahren Schulleiterin, seit 2009 an der Österfeldschule. Die 60-Jährige sagt: „Ich habe das Gefühl, dass ganz viele Kollegen nicht wissen, was man da tut. Man hat einen hohen Verwaltungsaufwand.“ Sie selbst habe Glück, weil sie von einer Sekretärin unterstützt werde: „Das entlastet unheimlich.“ An kleineren Schulen fehle das. Diemer-Hohnholz wünscht sich daher unter anderem einen geringeren Verwaltungsaufwand für Schulleiter.

In eine ähnliche Richtung geht Andreas Hamm-Reinöhl, der erst seit zwei Jahren Rektor am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Sillenbuch ist. „Man hat viel weniger Unterricht und übernimmt mehr Verwaltungs-und Organisationsaufgaben. Ich kann gut nachvollziehen, dass es Kollegen gibt, die sagen: ‚Dafür bin ich nicht Lehrer geworden‘.“ Deshalb fordert er mehr Unterstützung: „Finanziell, aber auch in Form von Entlastungsstunden. Also, dass Lehrer, die bei Projekten mitwirken, in dieser Zeit weniger Unterricht haben.“ Generell mehr Leute im Schulleitungsteam würden dem Job gut tun.

Ein Schulministerium müsste her

Lange überlegen musste Hamm-Reinöhl nicht, als er sich für dieses Amt beworben hat: „Hier kann ich Verantwortung übernehmen, gestalten und was bewegen.“ Natürlich gebe es Situationen, die belastend seien, aber „die, bei denen man was gestalten kann, sind mein Antrieb“, sagt Hamm-Reinöhl. Auch Diemer-Hohnholz schätzt die Vielfältigkeit: „Ich habe mit allen Bevölkerungsgruppen zu tun, mit Kindern, mit Eltern. Und ich beschäftige mich immer wieder mit neuen Problemen – und löse diese.“

Dennoch gesteht auch sie, dass es immer wieder Situationen gebe, in denen sie sich ärgere. Beispielsweise fehlen ihr an der Schule klare Strukturen. Die Lehrer seien beim Land beschäftigt, die Mitarbeiter für die Ganztagesbetreuung bei der Stadt. So gebe es jeweils unterschiedliche Auflagen. Während der Notbetreuung durften die Lehrer zum Beispiel mehr Kinder aufnehmen als die Betreuer. Diemer-Hohnholz fordert: „Es müsste ein Schulministerium geben und eine klare Regel.“

Wird Böttner doch Schulleiter am ESG?

Zudem wünscht sich die 60-jährige Schulleiterin eine bessere Ausstattung der Schulen: „Ich habe ein junges Kollegium, das was bewegen möchte, aber dann durch die technischen Voraussetzungen ausgebremst wird.“ Bestes Beispiel: Die Tablets, welche die Schüler der Österfeldschule seit einem Jahr zur Verfügung haben, diese jedoch aufgrund des fehlenden WLAN bisher nicht benutzen konnten.

Das ESG ist da weiter: „Wir haben WLAN und PC-Ausstattung in jedem Zimmer“, erzählt Böttner, der nicht mehr ganz ausschließt, Schulleiter zu werden: „Wenn in den nächsten ein, zwei Jahren niemand käme, würde ich überlegen.“ Er betont aber: „Ich rücke auch gerne wieder ins zweite Glied.“ Dann würde für die Sommerferien vermutlich wieder mehr als eine Woche am Bodensee herausspringen.