Harry Fischer nahm die Kinder mit in das Reich der Poesie. Foto: Georg Linsenmann

In der Carl-Benz-Schule haben Flüchtlingskinder einen besonderen Vormittag mit dem Dichter und Poeten Harry Fischer erlebt.

Hallschlag - Seit über einem Jahrzehnt ist Harry Fischer mit seinem Projekt „Kinderpoesie“ unterwegs, er will Kinder zum Dichten und Reimen anregen, „Nahrung fürs Selbstbewusstsein“ liefern. Die Zahl der Büchlein mit Kindergedichten, die dabei in Schulklassen entstanden sind, wächst stramm der Hundert entgegen. Und bald wird ein ganz besonderes hinzukommen, denn an der Carl-Benz-Schule, an der Fischer bereits vier Mal war, hatte er nun eine Premiere: Zum ersten Mal traf er auf eine ganz aus Flüchtlingskindern bestehende Klasse. Kein Routine-Termin also, weshalb auch durchaus eine gewisse Anspannung zu spüren ist vor dem Gang in den Raum der „internationalen Vorbereitungsklasse“, wo 14 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren warten. Manche sind schon über ein Jahr hier, manche erst ein paar Tage. Und nicht alle verstehen oder sprechen Deutsch.

Die Schulleiterin Ingrid Vanek ist sich aber sicher: „Das passt schon, die Kinder freuen sich.“ Vanek kennt Fischer, sortiert sein Gedichte-Projekt in das ein, „was wir sonst machen“: „Zum Beispiel viel mit Tanzen. Ich finde es wichtig, dass unsere Kinder verschiedene Ausdrucksformen für ihre Gefühle entwickeln, vielleicht auch in Gedichte packen können.“

Die Kinder sind vorbereitet – und sie werden Harry Fischer damit in einer Weise überraschen, wie er noch nie überrascht wurde. Im Chor bieten sie ein frisches „Guten Morgen!“ Auch Fischer ist vorbereitet, grüßt auf Arabisch. Und als er von Katharina direkt vor ihm erfährt, dass sie aus Griechenland kommt, grüßt er auch in deren Muttersprache. Mucksmäuschenstill ist die Schar, wenn er zu seinem Standardsatz anhebt: „Seid gegrüßt, Ihr jungen Dichter und Poeten!“ Und los geht die Reise, für die man „keinen Koffer braucht“.

Dieses Mal wurde selbst Harry Fischer beschenkt

Wie von alleine verwickelt Fischer die Kinder in seine Fragen, bittet um Reimhilfe, gibt Beispiele. Wieviele Sterne hat der Himmel? Was machen die Sterne am Tag? Was ist mit einem frierenden Kieselstein, wenn man ihn in die wärmende Hand nimmt? Und überhaupt: „Was findest du schön?“ „Wolken, Blumen, Schnee“, sagt Laes. „Gibt es die Regentropfensprache?“ fragt Fischer. Und schon fängt es an zu tropfen. Klopfend, einzeln, ganz leise. Dann immer schneller, lauter, kräftiger, bis zum Regenguss, der auf die Tische platscht. So weckt Fischer die Fantasie, das Vorstellungsvermögen. Und die Traute, damit zu spielen. Mit Wörtern, beim Reime suchen und Rätsel lösen: „Welch ein Tag! So viele Wunder!“

So gibt Fischer dem Zauber weitere Nahrung und würde gerne umschwenken in die Zettelarbeit, ins Dichten fürs Büchle. Stattdessen wird er nun selber verzaubert, denn die Kinder wollen jetzt Gedichte vortragen. Amer legt los wie eine Rakete. Beflügelt ziehen Georgia, Damir und Ahmed nach. Fischer staunt, ist sprachlos. Die Klassenlehrerin Nina Begic lüftet das Geheimnis: „Wir lernen jede Woche ein neues Gedicht. Manche Kinder können es schon am nächsten Tag.“

Jetzt aber wird mit Fischer gedichtet. Bei Wedad, Ihad und Yole ist das „geheim“. Hussein, der Junge aus Aleppo, der dabei war, als eine Bombe seinen Großvater zerriss, der seit drei Jahren auf seine Mutter wartet, irrt ein wenig herum: „Immerhin, er beginnt langsam wieder zu lachen“, sagt seine Lehrerin. Arash zeigt stolz seine ersten Zeilen: „Eines Tages ist seine Familie gekommen und er freute sich viel.“ Dann das Schlussritual, im Chor, natürlich gereimt: „Wir sind wir, wir sind toll. Wir sind spitze, ganz wundervoll!“ Harry Fischer ist begeistert und bewegt: „Eigentlich will ich ja die Kinder beschenken. Aber heute wurde ich selbst beschenkt.“