Tatort Karl-Pfaff-Straße: Beamte sichern nach den Schüssen Spuren. Foto: 7aktuell.de/Alexander Hald

Ein Verletzter liegt auf der Straße, von Polizeikugeln getroffen: In einer ruhigen Wohn- und Geschäftsstraße in Degerloch hat sich am Mittwoch ein Drama abgespielt. Die Schüsse eines Beamten werden nun von der Staatsanwaltschaft untersucht.

Stuttgart - Dramatischer Zwischenfall in Degerloch: Ein Polizeibeamter hat am Mittwoch gegen kurz vor 17 Uhr in einer Wohnstraße auf einen Mann geschossen – und ihn schwer verletzt. Zuvor soll der Betroffene randaliert und sich mit dem Beamten ein Gerangel geliefert haben. Über die näheren Umstände gab es zunächst keine Informationen: „Die Ermittlungen zum Ablauf und zu den Hintergründen dauern an“, so Polizeisprecher Stephan Widmann in einer ersten Stellungnahme zu den Geschehnissen in der Karl-Pfaff-Straße. Bei dem Mann soll es sich um einen 23-Jährigen handeln.

Als die Schüsse fallen, werden außer Passanten auch Anwohner aufmerksam. Einer eilt auf den Balkon und sieht einen jungen Mann auf der Straße neben geparkten Autos liegen – und der schreit. Eine ältere Frau beugt sich über den Verletzten und kümmert sich um ihn. Ein 56 Jahre alter Beamter hält seine Dienstwaffe in der Hand und versucht beruhigend auf die Umstehenden einzuwirken. „Ich habe auf ihn geschossen“, soll er der Frau gesagt haben. Wenig später treffen Notarzt und Rettungsdienst am Tatort ein. Der Straßenabschnitt zwischen Löwenstraße und Michaelstraße wird abgesperrt.

Der Mann soll zuvor Autos beschädigt haben

Nach Angaben der Polizei begann der Zwischenfall, als eine Passantin gegen 16.45 Uhr in der Revierstation der Polizei erschien, die an der Ecke Karl-Pfaff- und Felix-Dahn-Straße gelegen ist. Die Dienststelle, die keinen Rund-um-die-Uhr-Betrieb mehr hat, war zu dieser Zeit noch geöffnet. Die Frau teilte mit, dass ein junger Mann ganz in der Nähe randalieren und mehrere geparkte Autos beschädigen würde. „Ein 56 Jahre alter Polizeibeamter ging daraufhin sofort nach draußen und stellte den Tatverdächtigen“, so Polizeisprecher Widmann.

Dabei soll der Tatverdächtige jedoch sofort massiven Widerstand geleistet und auf den Polizeibeamten eingeschlagen haben. Der Polizist soll daraufhin seine Dienstwaffe gezogen haben. Ob der Beamte den 23-Jährigen noch zur Aufgabe aufforderte oder in Notwehr sofort Schüsse abgab – das alles gehört zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Der junge Mann, über dessen Vorgeschichte zunächst nichts zu erfahren war, wurde am Bein und an der Hand getroffen. Notarzt und Rettungskräfte kümmerten sich um den Verletzten und brachten ihn in ein Krankenhaus. Es wird nicht ausgeschlossen, dass er sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden hatte.

Tödliche Fälle in der Region

Der Vorfall zeigt, dass Stuttgarter Polizisten immer wieder in die Situation geraten können, ihre Dienstwaffe zücken zu müssen. Dabei kann es um Leben und Tod gehen: In diesem Jahr starb etwa ein Einbrecher in Pleidelsheim (Kreis Ludwigsburg) an der Verletzung durch eine Polizeikugel, im vergangenen Jahr wurde ein Randalierer in Filderstadt (Kreis Esslingen) tödlich verletzt.

Die Stuttgarter Polizisten hatten in den vergangenen Monaten eher Ruhe. Der letzte Schuss, der in aller Öffentlichkeit abgegeben wurde, fiel Mitte April am Vaihinger Markt, als ein 29-Jähriger vor einer Polizeikontrolle flüchtete. Der Beamte hatte ein Signalschuss in die Luft abgegeben, um seine Kollegen auf seinen Standort und die Fluchtrichtung aufmerksam zu machen.

Was tun, wenn das Gegenüber nicht aufgibt?

Beamte müssen oft in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob sie die Schusswaffe einsetzen oder nicht – weil es auch um ihr Leben gehen kann. Dazu müssen die Ordnungshüter nicht an 1989 zurückdenken, als ein Amoktäter mit einer versteckten Machete zwei Beamte auf der Gaisburger Brücke tötete. Mitte Juli vergangenen Jahres gerieten zwei 24 und 25 Jahre alte Polizisten in der Erwin-Hageloh-Straße in Bad Cannstatt in den Hinterhalt eines 33-Jährigen. Der Mann hatte die Polizisten unter einem Vorwand in eine Tiefgarage gelockt und dann mit einem Messer unvermittelt angegriffen. Der ältere Beamte erlitt schwere Verletzungen. Die Polizisten schossen den Angreifer nieder und verletzten ihn lebensgefährlich.

Die Schusswaffe gilt als letztes Mittel, um eine Bedrohungssituation zu bereinigen. Mal gibt das Gegenüber auf, mal nicht. Im Januar letzten Jahres etwa konnten Bundespolizisten im Stuttgarter Hauptbahnhof einen 46-Jährigen davon überzeugen, das Messer niederzulegen, mit dem er seinen Widersacher bedrohte. Auf dem Karl-Benz-Platz in Untertürkheim im Februar 2015 dagegen dachte ein 34-Jähriger gar nicht daran, als er mehrere Polizisten mit einer Schusswaffe bedrohte und dabei herumballerte. Die Polizisten feuerten zurück, verletzten ihn schwer. Der Mann hatte sich von den Polizisten töten lassen wollen – ein Phänomen, das Suicide-by-Cops genannt wird. Auf diese Weise kam im November 2013 ein 36-Jähriger in der Landhausstraße im Stuttgarter Osten ums Leben.