Die Ganztagsbetreuung an Grundschulen soll für alle Kinder geöffnet werden Foto: dpa

Ganztagsschule – so hieß bis vor kurzem noch Stuttgarts Antwort auf Bildungsungerechtigkeit. Jetzt werden die Karten neu gemischt, Horte und Schülerhäuser sollen erhalten bleiben.

Stuttgart - Das Land will Familien wieder die Wahl bieten zwischen Ganztagsschule und Halbtagsschule inklusive Nachmittagsbetreuung. Die Grünen im Gemeinderat ändern nun ihren Kurs und plädieren für den Erhalt der Schülerhäuser und Horte.

Seit fünf Jahren tüftelt die Schul- und Sozialverwaltung an einem guten Konzept zur Schülerbetreuung. Konsens war bis zum Wechsel der ehemaligen Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) ins Kultusministerium der Ausbau der Ganztagsschulen. An diesen sollten Grundschulkinder an vier Tagen in der Woche bis 16 Uhr sowohl von Lehrern als auch von Sozialpädagogen betreut werden.

Für die Übergangszeit, bis eine Schule auf den Ganztagsbetrieb umgestellt war, wurden so genannte Schülerhäuser an den Grundschulen eingerichtet. Damit hatte man eine Alternative gefunden zu der flexiblen Nachmittagsbetreuung, die ohne Fachkräfte stattfinden kann, und man sah sich auf einem guten Weg hin zu größerer Bildungsgerechtigkeit. Denn Horte, die mit qualifizierten Erzieherinnen und Sozialpädagogen arbeiten und Schüler am Nachmittag fördern, können sich nicht alle Familien leisten.

Nun zeichnet sich ein Kurswechsel im Stuttgarter Gemeinderat ab. „Wir plädieren dafür, die bestehenden 29 Schülerhäuser bestehen zu lassen, damit Eltern wählen können zwischen Ganztagsschule und Halbtagsschule mit Betreuung“, erklärt Nicole Porsch von der CDU. Für die Horte, die von Eltern-Kind-Initiativen gegründet worden sind, „den Pionieren“, müsse ebenfalls eine Lösung gefunden werden.

Land zahlt Zuschuss

Die CDU setzt damit ihre bisherige Argumentation fort. „Mir hat es noch nie geschmeckt, dass man Horte so apodiktisch ablehnt“, sagt die CDU-Stadträtin Iris Ripsam, die jüngst in die Bundestagsfraktion berufen wurde und Sprecherin ihrer Fraktion im Jugendhilfeausschuss ist. „Die Grundlagen haben sich jetzt eben geändert. Wir wollen, dass die Halbtagsschüler an der Schule so betreut werden, wie die Eltern es wollen und dort auch essen können. Das heißt natürlich, dass man viel mehr Mensen bauen muss.“

In der Tat sieht der Koalitionsvertrag der Landesregierung Zuschüsse für „flexible und modulare Betreuungsangebote“ vor, wenn sich Schulen nicht für den Ganztagsbetrieb entscheiden – und zwar auch für neu geschaffene Horte oder Schülerhäuser. Die Horte, die es in Stuttgart gibt und gab, sollten nach bisheriger Schulpolitik für die Kinderbetreuung genutzt werden, insbesondere zur Betreuung von Kleinkindern. Etliche Plätze sind bereits umgewandelt worden.

Kosten steigen

Dem entsprechend hält der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Gemeinde- rat, Vittorio Lazaridis, „die Diskussion für eröffnet“. Nach der Ankündigung des Landes könnte die Stadt „Schülerhäuser weiterfinanzieren“ und so den Eltern zwei Möglichkeiten eröffnen: „Ganztagsschule oder Halbtagsschule mit Betreuung bis 17 Uhr.“ Insbesondere im „bürgerlichen Niveau“ seien Horte und der Hort an der Schule, die jetzigen Schülerhäuser, hoch angesehen. Lazaridis räumt allerdings ein: „Die Finanzierung ist eine große Baustelle.“

Das belegt die Chefin des Schulverwaltungsamts, Karin Korn: „Wir haben nicht genügend Mensen, auch nicht für alle bestehenden Schülerhäuser und erst recht nicht für alle Grundschüler, weil die laut Gemeinderatsbeschluss nur für Ganztagsschüler gedacht sind. Sollten alle bei Caterern das Essen bestellen, müssen wir mit hohen Kosten rechnen.“ Auch bei der Finanzierung des Betreuungspersonals habe der Zuschuss des Landes nur ein Drittel der Kosten ausgemacht, „das war nie kostendeckend“. Sie verweist ebenfalls darauf, dass der Hort ganzjährig bezahlt werden muss, während die Betreuung im Ganztag kostenlos ist und nur die Spät- oder Ferienbetreuung Geld kostet. Korn: „Flexibler geht’s doch kaum.“ Reserviere man Horte wieder für Schüler, könnten dort keine neuen Plätze mehr für Kleinkinder geschaffen werden.

SPD will Bildungsgerechtigkeit

Die neue Schulbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) lässt keinen Zweifel aufkommen: „Den Eltern komplett die Wahl zu lassen, dazu haben wir weder die finanziellen, räumlichen oder personellen Ressourcen.“ Den vom Gemeinderat beschlossenen flächendeckenden Ausbau der Ganztagsgrundschulen finde sie grundsätzlich richtig, „und an den halte ich mich auch, aber es ist an der Zeit zu prüfen, wo und wie die Ganztagsschule funktioniert, wo nicht und wo und was man ändern sollte“. Im Herbst wolle sie ein Konzept vorlegen, wie man die Güte der bestehenden Angebote beurteilen könnte. Außerdem sollen Eltern von Ganztagsschülern, in Schülerhäusern und Horten nach ihrem Bedarf befragt werden.

Judith Vowinkel von der SPD-Fraktion ist „sehr irritiert über diese neue Haltung“. Sie ist dafür, Horte weiterzuentwickeln, erinnert aber daran, dass man froh gewesen sei, den „Flickenteppich“ in der Schulkindbetreuung in ein gutes Konzept überführt zu haben. „Unsere Fraktion ist klar für Bildungsgerechtigkeit und klar für die Ganztagsschule. Ich fürchte, dass es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben wird: Die, die sich die flexible Betreuung leisten können, und die anderen, die an der Ganztagsschule unter sich bleiben.“