Nur das Haus der Familie Esswein wurde von den Wassermassen umspült. Foto: Jacobs

Die Folgen der Schlammwelle sind beseitigt. Nur für die betroffene Familie herrscht noch kein Alltag.

Kaltental - „Hör mal“, rief ihr Mann ins Handy, als er Anja Ossenkop aus Kaltental am Samstagmorgen vor einer Woche gegen kurz vor 7.30 Uhr anrief. Ihr Mann war auf dem Weg zur Stadtbahnhaltestelle Kaltental, doch es hörte sich so an, als stünde er an einem Wasserfall. Aus dem Telefonhörer klang Wasserrauschen. „Und jetzt schwimmt gerade eine Mülltonne vorbei“, fuhr ihr Mann mit seinem Bericht fort. Anja Ossenkop verstand immer weniger, was gerade an der Stadtbahnhaltestelle an der Böblinger Straße vor sich ging. Ein Blick aus dem Fenster ihrer Wohnung oberhalb der Straße ließ sie jedoch zu ihren Bergstiefeln greifen, als sie sich kurz vor 9 Uhr auf den Weg zur Arbeit machte. „Die Straße hatte sich in einen Schmutzbach verwandelt.“

Als die Apothekerin wenig später zur Arbeit in der Schwarzwald-Apotheke ging, die schräg gegenüber der Haltestelle Kaltental liegt, watete sie durch Schlamm und stieg über angeschwemmte Steine. Ihr Mann war kurz nach 7.30 Uhr noch mit der letzten Stadtbahn Richtung Innenstadt „ganz langsam, ganz vorsichtig“ weggekommen. Wenig später waren die Wasser- und Schlammmassen bereits an der Haltestelle Vogelrain angekommen. „Hier komme ich nicht durch“, meldete der Lieferdienst der Apotheke und musste in weitem Bogen umgeleitet werden, um die bestellten Medikamente abgeben zu können.

Die Wassermassen aus dem geborstenen Wasserrohr oberhalb von Kaltental – ein Wochenende lang hielten sie Teile des Stadtteils in Atem. „Aber es gab auch Bereiche, in denen die Einwohner erst recht spät davon etwas mitbekamen“ , hat Anja Ossenkop beobachtet. Ihre Eltern meldeten sich aus dem Italienurlaub, sie hatten deutsches Radio gehört und wollten wissen, was in der Heimat vor sich ging. Auch in den Wohngebieten am westlichen Hang Kaltentals, entlang der Schwarzwaldstraße, erfuhren viele Einwohner erst aus den Medien von dem, was vor ihrer Haustür geschehen war. Die Welle habe ja nicht viel Lärm verursacht, gibt Ossenkop zu bedenken. Am Montag danach sei die Schlammlawine noch ein Thema unter den Kunden in der Apotheke gewesen, doch schon am Dienstag sei es wieder um andere Themen gegangen.

„Ich wusste gar nicht, dass wir so viele Nachbarn haben“

Man muss nicht westlich der Böblinger Straße wohnen, um spät von der Schlammlawine zu erfahren. Hans-Joachim Lauxmann und seine Frau wohnen am Weg Halde, kaum 100 Meter von der Stelle entfernt, an der das Wasserrohr barst. Das Ehepaar erfuhr aus dem Radio von der Welle, die durch Kaltental geschwappt war. „Dann haben wir aus dem Fenster geschaut und gesehen, dass unten die Böblinger Straße gesperrt war und viele Menschen die Schlammmassen wegschaufelten“, schildert Hans-Joachim Lauxmann. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt wusste das Ehepaar noch nicht, dass der Grund für die Aufräumarbeiten keine 100 Meter östlich ihres Grundstücks lag. „Erst als meine Frau am Briefkasten nach der Post schaute, wussten wir, woher die Lawine gekommen war“, schildert Lauxmann den Moment der Erkenntnis.

Dann ging es auch schon los. „Aus ganz Deutschland riefen Bekannte an und fragten, was denn in Kaltental los sei.“ Am Sonntag habe dann der „große Tourismus“ begonnen. Viele Leute seien zum Schauen gekommen, kletterten mit dem Argument, sie seien Anwohner, über die Absperrungen. „Ich wusste gar nicht, dass wir so viele Nachbarn haben“, sagt Lauxmann und lächelt ironisch.

Unten im Tal, am Anweiler Weg, arbeitet Annemarie Wolf-Tomes gerade im Vorgarten ihres Hauses. Ihr Grundstück ist nicht betroffen, sondern ausschließlich das ihrer Nachbarn wenige Häuser weiter. „Es ist wirklich sehr schade“, sagt die Seniorin. Denn gerade dieses Grundstück sei von seinen Besitzern sehr aufwendig gepflegt worden. Auch Wolf-Tomes hatte zuerst nichts von den Wassermassen gehört – bis eine Nachbarin anrief. Sofort musste sie an ein ähnliches Ereignis vor rund 20 Jahren denken. Auch damals war ein Wasserrohr oberhalb von Kaltental geplatzt, auch damals schossen Wasser- und Schlammmassen den Hang hinunter ins Tal – ebenfalls nur wenige Meter entfernt von ihrem Grundstück, allerdings auf der anderen Seite.

Nur eine Familie muss ihren Alltag für kurze Zeit umstellen

Kaum 30 Meter weiter talabwärts liegt das betroffene Grundstück der Familie Esswein. Ihr Anwesen ist als einziges schwer von den Wassermassen betroffen. Die Familie war über das Wochenende im Urlaub in der Schweiz, als das Unglück geschah. Nur Sohn Zino war zuhause und verständigte seine Eltern. „Den gesamten Rückweg über haben wir im Radio gehört, was passiert ist“, schildert Laura Esswein, Zinos Mutter. Davon zu hören, ohne es gesehen zu haben, das sei am schlimmsten für sie gewesen.

Aktuell sind die Aufräumarbeiten in vollem Gang. Durch den Garten steuern Landschaftsgärtner schweres Gerät, schaufeln Schlamm und Erde weg. „Wir konnten gar nicht so schnell schauen, wie die EnBW das hier für uns organisiert hatte“, sagt Esswein. Mit ihrer Familie ist sie im Haus der Schwägerin in der Nähe untergekommen. Ende der Woche wollen sie und ihr Mann mit ihrer jüngsten Tochter wieder zurückkehren. Sie bewohnen die oberen Stockwerke. „Aber unsere beiden älteren Kinder, die im Erdgeschoss wohnen, können vorerst nicht zurück.“ Denn voraussichtlich anderthalb Monate werde es dauern, bis diese Räume wieder bewohnbar seien.