Bei Schlaganfall schnelle medizinische Hilfe wichtig. Foto: dpa

Eine taube Körperhälfte, hängende Mundwinkel sowie Sprach- und Sehstörungen sind Symptome einer Durchblutungsstörung im Gehirn. Spezialisten warnen am Tag gegen den Schlaganfall vor den Risikofaktoren.

Mannheim - Die gefährliche Blockade zeigt sich bei der ersten bildgebenden Untersuchung nur als winziger Fleck. Dort sitzt das Gerinnsel, das den Blutfluss in der mittleren Gehirnarterie der 69-Jährigen abrupt gestoppt hat. Auf einen Schlag konnte sich die Patientin nicht mehr richtig bewegen. Der linke Arm und das linke Bein wurden schlaff. Die Aussprache war plötzlich verwaschen. Wird jetzt nicht schnell gehandelt, wird die Frau nie wieder richtig sprechen, sie wird sich nicht mehr alleine anziehen können – oder sie wird sterben.

Im Schlaganfallzentrum der Uniklinik Mannheim, wo die Patientin eingeliefert wurde, sehen die Ärzte solche Fälle mehrmals täglich. Ereignen sich doch nach Angeben der Stiftung Schlaganfall-Hilfe (DSG) bundesweit 270 000 Hirninfarkte pro Jahr. Etwa weil ein Gefäß im Gehirn reißt oder – was weitaus häufiger geschieht – ein Pfropfen es verschlossen hat. „Mehr als 85 bis 90 Prozent dieser Hirninfarkte werden durch ein Blutgerinnsel ausgelöst“, bestätigt Armin Grau, Vorsitzender der DSG.

Viele Patienten haben ein Herz, das aus dem Takt ist

Auffallend ist, dass sich unter den Betroffenen besonders viele Patienten befinden, deren Herz zeitweise nicht im Takt ist: Rund ein Drittel dieser sogenannten ischämischen Schlaganfälle wird durch Herzrhythmusstörungen mitverursacht, sagt Martin Borggrefe, der die Kardiologie an der Uniklinik in Mannheim leitet. Sein Team hat die 69-jährige Patientin mitbetreut und festgestellt: Auch sie hatte Vorhofflimmern.

Bei dieser Herzrhythmusstörung kommt es zu einem solch schnellen, unkoordinierten Puls, dass der Herzmuskel das Blut nicht mehr rhythmisch in den Kreislauf pumpt. Die Fließgeschwindigkeit des Bluts verringert sich im linken Vorhof, und es bildet sich im Herzen ein Gerinnsel. Eine tickende Zeitbombe: Wenn es sich löst, kann es mit dem nächsten Pumpstoß in die Halsschlagader und von dort in das Gehirn transportiert werden, wo es Gefäße verstopfen kann. Dann werden Teile des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt und damit auch nicht mit Sauerstoff und wichtigen Nährstoffen.

Ziel ist der Aufbau einer Datenbank mit 10 000 Patienten

Der Mannheimer Kardiologe Borggrefe forscht seit Jahren über die Herzerkrankung, die seiner Meinung nach „noch viel zu sehr unterschätzt wird“. Seit 2016 ist seine kardiologische Klinik zusammen mit denen des Klinikums Ludwigshafen und des Universitätsklinikums Heidelberg Teil eines wissenschaftlichen Projekts der Stiftung Institut für Herzinfarktforschung. Ziel ist der Aufbau einer wissenschaftlichen Datenbank von rund 10 000 Patienten mit Vorhofflimmern, die Ärzten und Wissenschaftlern dabei helfen soll, mehr über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der Rhythmusstörung herauszufinden. Zugleich soll das Projekt über Vorhofflimmern und dessen Risiken informieren.

Und so ist Martin Borggrefe oft unterwegs – etwa zu Patientenveranstaltungen der Deutschen Herzstiftung, in deren wissenschaftlichem Beirat er sitzt. Das Leiden betrifft viele. Etwa eine Millionen Patienten, so schätzen Experten, sind wegen Rhythmusstörungen in Behandlung. Es gibt aber mit Sicherheit mehr Betroffene: Nicht jeder bemerkt es, wenn das Herz aus dem Takt gerät, mal stolpert oder springt oder kurzzeitig zu rasen beginnt. Auch Borggrefe sagt: „Die Hälfte der Patienten, die wir sehen, bemerkt vom Vorhofflimmern nichts.“ So ist auch nicht jeder Stolperer gleich Grund zur Besorgnis. Ein kurzzeitig falscher Herzrhythmus kann beispielsweise durch zu viel Alkohol und Nikotin ausgelöst werden. Auch zusätzliche Herzschläge, Extrasystolen genannt, sind ungefährlich, wenn das Herz ansonsten gesund ist.

Auch Bluthochdruck steigert erheblich das Risiko für Herzrhythmusstörungen

Anders sieht es allerdings bei angeborenen Herzrhythmusstörungen aus – und bei solchen, die aufgrund einer Erkrankung entstanden sind: einer Verengung der Herzkranzgefäße, einer Herzschwäche oder einer krankhaft vergrößerten Schilddrüse. Nicht zuletzt ist es der Bluthochdruck, der ganz erheblich das Risiko für Herzrhythmusstörungen steigert.

Das Problem ist: „Wir können nicht vorhersehen, welcher Patient mit Vorhofflimmern auch mit einem Schlaganfall zu rechnen hat“, sagt Borggrefe. Aber es gibt Hinweise auf Risikofaktoren wie etwa das Alter. Während Vorhofflimmern vor dem 50. Lebensjahr nur einer von hundert entwickelt, sind es bei über Sechzigjährigen bereits vier bis sechs Prozent. Von den über Achtzigjährigen hat fast jeder Sechste Vorhofflimmern. Riskant sind auch Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Gefäßkrankheiten oder ein schon überstandener Schlaganfall. „Je mehr Faktoren zusammenkommen, umso höher ist auch das Risiko“, so Borggrefe. Medikamente, die das Entstehen von Blutgerinnseln hemmen, sind daher bei dieser Risikogruppe Pflicht. Das Vorhofflimmern selbst wird dagegen nur behandelt, wenn die Patienten einen gewissen Leidensdruck haben. Dafür gibt es verschiedene Therapien.

Mit der älter werdenden Bevölkerung steigt auch die Zahl der Herzkranken

Und dennoch wird die Zahl der von Herzrhythmusstörungen Betroffenen wachsen. Mit der älter werdenden Bevölkerung steigt auch die Zahl der Herzkranken. Um auf die wachsende Zahl potenzieller Schlaganfallkandidaten vorbereitet zu sein, plädieren Spezialisten für flächendeckende Screenings bei 65- bis 70-Jährigen. Dabei reicht es, den Puls regelmäßig zu messen, um zu erkennen, ob dieser Unregelmäßigkeiten aufweist. Ist das der Fall, sollte ein Arzt mithilfe eines Elektrodiagramms (EKG) die Aktivität des Herzens untersuchen, rät Borggrefe.

Vielleicht hätte dies auch der 69-jährigen Patientin den Hirninfarkt erspart. Zumindest hatte sie das Glück, dass die Symptome ihres Schlaganfalls von Verwandten gleich richtig gedeutet wurden und sie in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Das Blutgerinnsel konnte in kurzer Zeit entfernt werden. Und die Ärzte sind sich sicher: Sie wird sich wieder erholen.

Wie Ärzte Vorhofflimmern behandeln

Ärzte behandeln bei Herzrhythmusstörungen vor allem die Grunderkrankung. Sie versuchen nur dann Einfluss auf den Takt des Herzens zu nehmen, wenn die Symptome so oft auftreten oder so stark ausgeprägt sind, dass sie den Betroffenen im Alltag einschränken. Diese Methoden können helfen:

Medikamente Für Patienten mit Vorhofflimmern steht eine ganze Palette an Medikamenten zur Verfügung. Mit diesen sogenannten Antiarrhythmika versuchen Kardiologen, den falschen Rhythmus zu unterdrücken oder die Häufigkeit der Störung zu reduzieren. Es braucht oft Geduld und einen mehrfachen Medikamentenwechsel, bis das richtige Mittel und die richtige Dosierung gefunden worden sind.

Elektroschock Ist die Therapie mit Medikamenten nicht erfolgreich, versucht man das Störfeuer zunächst mit einem Elektroschock auszuschalten: Dazu wird unter EKG-Kontrolle für einige Millisekunden ein Elektroschock durch den Körper gejagt, um den Rhythmus zu normalisieren.

Katheterablation Bei dieser Verödungsbehandlung werden die Muskelzellen in den Vorhöfen, die die störenden Signale aussenden, ausgeschaltet. Das geschieht entweder mit Kälte wie bei der Cryoablation oder mit Hitze bei der sogenannten Radiofrequenzablation. Mit diesem Verfahren wird auch das Risiko von Schlaganfällen gesenkt.

Schrittmacher Schlägt das Herz zu langsam und nicht verlässlich, kann dem Patienten, der an einer solchen Bradykardie leidet, ein Schrittmacher implantiert werden. Das System überwacht den Herzschlag. Reicht dessen Frequenz nicht aus, gibt es einen elektrischen Impuls an den Herzmuskel ab.