Parallel zum Polizeieinsatz gegen Rechtsextremisten in Freital begann in Dresden der Prozess gegen den in Freital wohnenden Pegida-Begründer Lutz Bachmann wegen Volksverhetzung. Seine Anhänger demonstrierten vor dem Gerichtssaal. Foto: dpa

Aus der Zeit einer sozialdemokratischen Modellkommune in den 1920-er Jahren erhielten sich in der geschichts- und gesichtslosen Industriestadt nur ein imaginäres Selbstbehauptungsgefühl sowie die Furcht vor allem, was von außen kommt.

Dresden - Mehr als 200 Beamte von Bund und Land – darunter die Antiterrortruppe GSG 9 – zog die Staatsmacht am Dienstagmorgen in Freital zusammen. Sie durchsuchten Wohnungen, sicherten Fluchtwege und nahmen schließlich fünf Verdächtige fest: vier Männer zwischen 18 und 39 Jahren sowie eine 27-jährige Frau. Unterstellt wird ihnen die Mitgliedschaft in der rechtsterroristischen Vereinigung „Gruppe Freital“. Während von politischer Seite weitgehend Beifall für diese martialische Aktion kommt, wächst beim Gros der Einwohner eher das Unverständnis. Den einen dauerte es einfach zu lange, ehe der Staat nun endlich agierte. Immerhin – so rügen Linke, SPD und Grüne – lägen die meisten Vorwürfe gegen dieses Quintett bereits fast ein Jahr zurück, darunter Böllerschüsse gegen ein Asylbewerberheim sowie eine Brandbombe, die das Auto eines Stadtrats der Linken zum Bersten brachte. Zudem waren zwei der Fünf bereits im Herbst einmal festgenommen, dann aber wieder aus der Haft entlassen worden. Andere dagegen sehen darin nur eine weitere Kampagne, um die Industriestadt vor den Toren Dresdens zu verunglimpfen.

Zu ihnen gehört selbst Freitals Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU). So verweigerte er erst unlängst seine Unterstützung für ein Konzert, das das vom Rapper Smudo unterstützte Bündnis „Laut gegen Nazis“ im Mai in Freital plant. Nach seiner Meinung heize das nur die öffentliche Debatte weiter auf und befeure vor allem „das leider überregional bei manchen eingebürgerte Klischee, gerade in Freital gäbe es eine nennenswerte (Neo)Nazi-Szene“. Damit dürfte der Christdemokrat viel Rückhalt bei den Einwohnern finden. Ist Freital also eine besonders rechtsradikale Stadt?

Man könnte es meinen angesichts der Hunderten teils rüde pöbelnden Bürger, die im Juni 2015 vor einem früheren Hotel aufzogen, um dessen Umwandlung in ein Flüchtlingsheim zu verhindern. Auch andere Aspekte deuten daraufhin: Die häufigen „NS“- oder „No Asyl“-Schmierereien an Hauswänden etwa. Oder auffällig viele junge Männer im Outfit der rechtsextremen Szene. Und bereits der erste öffentliche Presseauftritt der seinerzeit frisch in den Dresdener Landtag gewählten NPD fand im Herbst 2004 fast konspirativ in einem Freitaler Lokal statt. Überdies hat in der Stadt auch der Pegida-Gründer Lutz Bachmann seinen heutigen Wohnsitz. Dass gegen diesen am Dienstag nahezu zeitgleich mit dem Polizeieinsatz vor dem Amtsgericht Dresden der Prozess wegen Volksverhetzung begonnen hat, empfinden nicht wenige in der Stadt als keinen Zufall. Tenor: Nun spielt der Staat mal eben mit den Muskeln…

Genau diese Mischung aus Trotz, Frust und einem Gefühl, zu Unrecht verfolgt zu sein, hat in Freital eine lange Tradition. Vermutlich speist sich auch daraus das momentane Klima unter den 40 000 Bewohnern einer Kommune, die weder Geschichte noch gewachsene Traditionen oder ein urbanes Zentrum mit Markplatz, Rathaus, Kirche und Altstadtgassen besitzt. Erst 1921 entstand die Stadt aus drei vorher selbstständigen Industriedörfern. Heute besteht sie sogar aus 15 Ortsteilen, die kaum mehr vereint als der Kunstname „Freital“. Den hatte damals die SPD kreiert, als sie darin ging, ein linkes Gemeinschaftsmodell mit neuen Arbeitersiedlungen zu schaffen, in dem man „frei von Ausbeutung und Unterdrückung“ leben wollte. Von allen anderen politischen Lagern heftig bekämpft, war Freital lange Sachsens einzige Stadt mit einem SPD-Oberbürgermeister. Zwei Drittel wählten hier „rot“, weshalb mal die Stahlarbeiterstadt andernorts als „Liebknechthausen“ verspottete. Doch all das verstärkte nur noch den Starrsinn. Und jener Stolz wie auch Selbstbehauptungswille gegen eine als feindlich empfundene Welt fraß sich wohl in die Identität vieler Familien und letztlich der ganzen Stadt ein. Gerade Gestrandete und anderswo Ausgestoßene der kapitalistischen Gesellschaft schufen sich hier ein neues Selbstwertgefühl. Doch das ging dann ausgerechnet in der DDR zugrunde, als die SED daran ging, diese gemeindesozialistische Idee auszulöschen.

So blieb wenig von der einstigen sozialdemokratischen Gesinnung, als 1989 die Wende losbrach. Stattdessen hatten nun neue Kleinstadtpopulisten das sagen: Sie trugen zwar wieder jenen überkommenen Beharrungswillen vor sich her, aber nun eine diametral entgegengesetzte Ideologie. Eben daraus rekrutierte sich auch jene 2015 entstandene Freitaler Bürgerwehr, die dann den Nährboden für jene rechtsterroristische Gruppe bildete. Eine neue Wagenburgmentalität hat begonnen sich auszuleben, für die wieder alles Fremde als bedrohlich gilt. So haben es denn rechte Rädelsführer wie Bachmann leicht, gerade hier neue Anhänger zu gewinnen.