Die Geschwister Timothy, Barnaby A und B sowie Jane haben kaltherzige Eltern, die sie los werden wollen. Foto: dtv

„Die schreckliche Geschichte der abscheulichen Familie Willoughby (und wie am Ende alle glücklich wurden)“: Schon der Titel steht in bester Gruseltradition – und das neue Buch von Lois Lowry hält, was es verspricht.

Stuttgart - Signalrot ist die Haustür zum englischen Reihenhaus der Familie Willoughby, Rot leuchtet auch der Einband des neuen Romans von Lois Lowry. „Die schreckliche Geschichte der abscheulichen Familie Willoughby (und wie am Ende alle glücklich wurden)“ erzählt von schicksalhaften Begegnungen von vier Kinder, wie sie sich hinter genau dieser Tür abspielen. „Ein Roman, von der Autorin absolut schonungslos verfasst und völlig unerhört illustriert“, übertreibt der Titel weiter. Kann es eine schönere Einladung geben für einen Kinderroman, dessen Lektüre wohlige Gruselgefühle beschert? Die „Gothic Novel“, die Mitte des 18. Jahrhunderts in England entstand, rückt dunkle, irrationale und zerstörerische Anteile des Menschen in den Mittelpunkt, schafft zugleich aber mit literarischen Mitteln eine ästhetische Distanz. Die schont den Leser und gibt ihm ein Gefühl der Erhabenheit.

In diesem Schaueroman für Kinder, für den sich die Autorin Lemony Snickets „Reihe betrüblicher Ereignisse“ zum Vorbild genommen hat, greift Lois Lowry vorrangig auf das rhetorische Stilmittel der Übertreibung und auf viel schwarzen Humor zurück. So können auch junge Leser aushalten, dass die vier Willoughby-Geschwister von ihren Eltern vernachlässigt und wenig geliebt. So kommt es, dass die Zwillinge nicht einmal eigene Namen haben, geschweige denn mit genug Kleidung ausgestattet sind – Barnaby A und Barnaby B müssen sich sogar einen Pullover teilen.

Mit einem Kindermädchen wendet sich das Blatt

Die Zwillinge sowie ihr großer Bruder Timothy und ihre kleine Schwester Jane versuchen ihrerseits alles, um zu Waisen zu werden. Endlich, als die bösen Eltern auf Weltreise gehen, das Haus der Familie zum Verkauf freigeben und ihre ungeliebten Kinder einem seltsamen Kindermädchen anvertrauen, wendet sich das Blatt. Auch ein schreiendes Baby, das die kaltherzigen Kinder finden und woanders absetzen, bekommt ein neues Zuhause und verändert das traurige und einsame Leben eines Fabrikanten, der glaubt, seine Familie bei einem Unglück verloren zu haben.

Darüber hinaus schafft die erfindungsreiche Autorin zusätzliche Distanz zu ihrer aberwitzigen Handlung, indem sie – wie schon der Buchtitel andeutet – die Fiktionalität der Geschichte durch ständige Einschübe hervorhebt. So bittet Timothy seine Eltern um eine Gutenachtgeschichte: „In altmodischen Büchern lesen Eltern immer vor, bevor die Kinder ins Bett müssen.“ Welches Märchen kurz angelesen wird? „Hänsel und Gretel“ natürlich. Hier wie dort sterben zum Schluss alle Bösen und es gibt ein anständiges Happy End – wie in altmodische Kindergeschichten so üblich.