Sarah Kuttner drückt sich immer ein bisschen anders aus als andere. Foto: Katharina Hintze

Wie kann das Familienleben weitergehen, wenn ein Kind stirbt? In „Kurt“, ihrem neuen Roman, findet Sarah Kuttner darauf eine gnadenlose Antwort.

Stuttgart - Lena weiß nicht so recht. „Mein Hintern gehört nicht zur Familie“, sagt die junge Frau, die sich immer ein bisschen anders ausdrückt als andere. Sie und ihr Freund Kurt sind keine Berliner, keine „Arschlochgroßstädter“ mehr, sondern leben als Patchworkfamilie in Oranienburg. Im kleinen Rumpelhaus wohnt nicht nur das Chaos, sondern wochenweise auch Kurts Sohn, der ebenfalls Kurt heißt. Lena steht so hilflos vor unausgepackten Kartons wie vor unsortierten Gefühlen – zum kleinen Kurt, zum Landleben.

Sarah Kuttnerist auch eine junge Frau, die sich schon immer ein bisschen anders ausgedrückt hat als andere. Schon früher rotzte sie sich frech als Moderatorin durch ihre TV-Shows, überfrachtete ihre ersten Bücher mit Kalauern. Bei ihr ist das Leben gerne „fucking“ irgendwas, auf jeden Fall immer „fucking“ anders.

In ihrem vierten Roman „Kurt“ lässt Sarah Kutter nun ein Kind ganz leise sterben: „Und dann fällt Kurt vom Klettergerüst“. Die Ohnmacht danach dröhnt. Kuttner findet dafür den angemessen stillen in ihrem sonst gern lauten Ton.

Gnadenloser Alltag

Der große Kurt verschwindet in der Trauer. Wenn er kurz auftaucht, verteilt er gerade noch „egale Küsse“. Lena, die auch oft nicht so recht weiß, wie viel Trauer ihr als Stiefmutter zusteht, verbuddelt ihren Schmerz bei der Gartenarbeit unterm Jasmin. Hat mal Heimweh, mal auch nur Weh, versteckt ihre Andenken an den kleinen Kurt hilflos hinter der Waschmaschine.

Immer noch rotzgörig, aber behutsamer und weniger aufgekratzt erzählt Kuttner vom Normalen im Unnormalen, davon, wie jeder Tag mit diesem Kindstod von vorne beginnt: „Er wirft eine dicke undurchlässige Decke aus lähmendem Entsetzen über Hinterbliebene und versucht, sie darunter zu ersticken.“ Wie das Paar kraftlos entdeckt, dass es nicht unter derselben Decke steckt, aber einzeln erst recht kaum Luft bekommt, schildert Kuttner schmerzhaft unspektakulär.

Sie schreibt gnadenlos den Alltag weiter. Lässt Lena zwei Seiten lang Kuchen backen. Da muss der Leser durch. Weil Lena da ja auch durchmuss. Sie lässt das Leben weiterlaufen. Abende, die hochprozentig enden, werden nicht bewertet, nur beschrieben. Die Figuren, die um ihr Weiterleben kämpfen, werden nicht über Äußerlichkeiten definiert, nur ihr Inneres wird - auch mal mit schrägem Humor - ausgekritzelt. Das macht es lebensecht und anstrengend. Also so, wie Sarah Kuttner selbst ist.

Sie überleben – irgendwie

Die 40-Jährige mischt nicht nur die Streaming-Serien, sondern auch die Musik ihrer Generation, Lieder von Belle & Sebastian, Joy Division oder The Smiths, so treffsicher zwischen die Zeilen, als wolle sie sich um einen DJane-Job bewerben.

Der Tod steht Kuttner gut. Der Sound ihrer Geschichte ruckelt, wo er ruckeln muss, schnurrt zwischendurch, kreischt hier laut, wird wieder leise und wummert unablässig trostlos. Das Traurige steht Kuttner gut. Nach zwei Kapiteln ist klar: Lena und der große Kurt werden das Unglück überleben. Irgendwie.

Schade, dass Kuttner ihrer Generation nicht zuzutrauen scheint, das aushalten zu können. Sie klatscht ein drittes, bloß dreieinhalb Seiten langes Kapitel ans Ende. Als tröstendes Happy-End, das es bei dieser Geschichte nicht geben kann?

Lena blickt darin nochmal zurück. Auf den kleinen und den großen Kurt. Kuttner spielt plötzlich angestrengt mit den doppelten Kurts, die zwei Kapitel lang in liebevoll angeregten Gedankenspielen innig miteinander verbunden waren. Lena blickt auf das, was mal Glück war zurück: „Vielleicht mache ich mir gleich vor lauter Gefühl ein bisschen in die Hose.“ Kuttner hatte im Kapitel vorher weniger plump und sehr viel zauberhafter beschrieben, was sie hier schwerfällig ausdrückt: Dass Erinnerung nicht vergeht.

Termin: Sarah Kuttner stellt ihren Roman „Kurt“ am 13. Mai um 20 Uhr im Stuttgarter Theaterhaus vor.