SÖS-Beirätin R. Krattenmacher: „Das ganze Europaviertel ist Beton“ Foto: Steinert

Die Pläne für das künftige Aussehen des Mailänder Platzes fallen im Bezirksbeirat durch.

S-Mitte - An der Nussdorfer Straße, im idyllischen Überlingen am Bodensee, ist ein Mangel an Natur unbekannt. Dort steht kein Haus, vor dem nur ein Baum sprießt. Dass der Blick durchs Fenster auf eine andere Farbe fällt als auf grün, ist die Ausnahme. Die Nussdorfer Straße ist die Adresse des Ateliers Dreiseitl, eines Büros für Landschaftsarchitektur. Dieter Grau ist einer von drei Geschäftsführern.

Es steckt viel Arbeit in den Plänen, die Grau an diesem Abend dem Bezirksbeirat Mitte erklärt, viel Sorgfalt fürs Detail und Gedankenkraft. Derzeit wird noch diskutiert, mit welchem Stein Mauern und Boden idealerweise belegt werden sollen, wegen des besten Kompromisses zwischen Haltbarkeit und Schönheit: Travertin, Dolomit, Granit? Grau spricht über die Pläne zum Aussehen des Mailänder Platzes, der Brache zwischen der Stadtbibliothek und dem künftigen Einkaufszentrum auf dem S 21-Gelände. Niemand spricht Grau die Mühe ab. Das Ergebnis missfällt dennoch.

Aus mancher Perspektive wirkt der neue Prunkplatz im Herzen Stuttgarts „wie der Hinterhof vom Knast, sehr trist“, urteilt der Christdemokrat Michael Scharpf. „Das ganze Europaviertel ist Beton, da können wir nichts machen“, sagt die SÖS-Beirätin Rita Krattenmacher. Ginge es nach dem Sozialdemokraten Karl-Stephan Quadt, wäre die Diskussion übers geeignete Gestein für die Wände beendet, und Grau müsste neue Pläne zeichnen. Jede senkrechte Fläche, meint Quadt, gehöre berankt, mit Wein oder Efeu. „Im Sinne von hängenden Gärten“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle.

Bäume statt Brunnen

Dass ein flaches Wasserspiel zum Verweilen locken soll, finden alle sehr nett. Darin herrscht Einigkeit. Sofern die 28 000 Euro jährlich gesichert sind, die der Betrieb kosten soll. Das zentrale Wasserbecken gilt den Lokalpolitikern allerdings eher als Randnotiz, über die der Christdemokrat Wolfgang Waidlich als „eine Art Kneippkur in der Innenstadt“ witzelt. Die war einst ohnehin geplant, als Wassergraben rund um die Bibliothek, wurde aber seinerzeit der Kosten wegen gestrichen.

Was alle eint, die sich in der Diskussion zu Wort melden, ist eben der in Überlingen unbekannte Wunsch nach mehr Grün. Auch die CDU, sagt Scharpf, „würde das Geld für den Brunnen lieber in ein paar Bäume mehr investieren“. Dabei ist – amtsoffiziell gemäß den Gemeinderatsunterlagen – ein Eichenhain Bestandteil des Mailänder Platzes. Allerdings ist der Hain Wortgeklingel und die Eiche ein Symbol des Kernproblems. Eichen sind nicht robust genug, um das Klima im Talkessel zuverlässig zu überleben. Inzwischen ist die Esche der Baum der Wahl. Der gesamte Hain soll aus 16 Neupflanzungen bestehen.

Dabei ist es keineswegs so, dass der Geschäftsführer vom Bodensee kein Verständnis hätte für den Ruf nach mehr Grün in der Großstadt. Im Gegenteil, versichert Grau. „Ich finde die Anregungen absolut berechtigt, wir haben um jeden Baum gekämpft.“ Allerdings vergeblich, denn oberirdisch hätten zwar Äste und Zweige reichlich Platz zum Sprießen, aber der fehlt den Wurzeln im Untergrund. Das Erdreich ist nur an wenigen Stellen so dick, dass darin anderes gedeihen könnte als Unkraut oder Gestrüpp, weil direkt unter der Oberfläche Leitungen verlegt werden und die Zufahrt zur Tiefgarage in den Boden betoniert wird. „Das ist die bittere Realität“, sagt Grau.

„Erst wird der Baukörper geplant, dann die Tiefgarage, danach kommt ein bisschen Grün als Petersilie obendrauf“, sagt Kienzle dazu. Womit am künftigen Steinbelag des Mailänder Platzes zumindest zwei Zielgruppen ihre Freude haben werden, deren Interessen die Planer nicht im Sinn hatten: Skater und Graffiti-Sprayer.