Gangolf Stocker wird das Urteil gegen ihn nicht akzeptieren Foto: Kraufmann

Vier Vorwürfe, drei Freisprüche und eine Verurteilung – so sieht das Urteil des Landgerichts gegen S-21-Veteran Gangolf Stocker aus. Der ehemalige Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 wird dagegen vorgehen, obwohl er quasi straflos bleibt.

Vier Vorwürfe, drei Freisprüche und eine Verurteilung – so sieht das Urteil des Landgerichts gegen S-21-Veteran Gangolf Stocker aus. Der ehemalige Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 wird dagegen vorgehen, obwohl er quasi straflos bleibt.

Stuttgart - Die Zeichen stehen auf Erledigung des Verfahrens, der Tisch ist gedeckt, Gangolf Stocker, altgedienter S-21-Gegner, muss nur noch zugreifen. Tilman Wagner, Vorsitzender Richter der 38. Berufungskammer des Landgerichts, hat die Staatsanwältin inzwischen so weit, dass auch sie nach vorheriger Weigerung der Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld zustimmt. Doch Stocker will ein Urteil, er will einen Freispruch. Das Urteil bekommt er, den Freispruch nicht. Der SÖS-Stadtrat und Ex-Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21 wird Dauerangeklagter bleiben.

Die 38. Kammer hat Stocker wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verurteilt. Und zwar zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen à 60 Euro. Bezahlen muss das der 69-Jährige nicht, denn es handelt sich um eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, um eine Geldstrafe auf Bewährung sozusagen. Sein Verstoß gegen die Auflagen der Stadt sei in einem Fall zwar strafbar, aber nicht strafwürdig, so Richter Wagner. Deshalb die auf ein Jahr festgesetzte Bewährung.

Stocker hatte bei vier Großdemonstrationen gegen Stuttgart 21 zwischen Oktober 2010 und Februar 2011 rund um den Hauptbahnhof als Versammlungsleiter fungiert. Zehntausende Gegner des umstrittenen Milliardenprojekts waren damals auf die Straße gegangen. Bei den Aufzügen soll Stocker viel zu wenige Ordner eingesetzt haben. Die Auflagen der Stadt schrieben ihm einen Ordner pro 50 Demo-Teilnehmer vor. Das konnte nicht gut gehen. Bei einer der Demonstrationen hätte Stocker somit rund 1000 Ordner stellen müssen.

Dagegen wendet sich Verteidiger Roland Kugler. Die Auflagen der Stadt seien nicht rechtmäßig gewesen, so der Anwalt. „Nur wenn der Versammlungsleiter vorab kundtut, man werde sich nicht an die Spielregeln halten, sind Auflagen seitens der Versammlungsbehörde möglich“, argumentiert Kugler und er taucht tief ins Versammlungsgesetz ein. Das Ordnungsamt könne Auflagen nur erteilen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet seien. Und dies sei bei keiner der Großdemos, die allesamt friedlich abgelaufen waren, der Fall gewesen.

Kugler ließ es sich auch nicht nehmen, einige Spitzen zu setzen. „Wenn jemand in knapp zwei Jahren 14 Mal angeklagt wird, dann muss es sich um einen schweren Jungen handeln – oder um jemanden, der Versammlungsleiter in Stuttgart war.“ Bisher habe es keine einzige rechtskräftige Verurteilung Stockers gegeben, so Kugler. „Da könnte man den Eindruck gewinnen, die Staatsanwaltschaft hat sich da festgebissen, um wenigstens eine Verurteilung zu erreichen.“

In dieser Sache steht Gangolf Stocker das vierte Mal vor Gericht. Das Amtsgericht hatte ihn zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 5400 Euro verurteilt. Das Landgericht sprach ihn in der Berufung im Dezember 2012 dagegen frei. Die Argumentation, verkürzt dargestellt: Bei derlei Auflagen werde es unmöglich, größere Versammlungen zu organisieren. Das Versammlungsrecht wiege schwerer. Das Oberlandesgericht, von der Staatsanwaltschaft angerufen, kassierte diesen Freispruch.

Jetzt, am Freitag, die erneute, milde Verurteilung. „Die Kammer hält die Auflagen der Stadt für rechtens“, sagt Richter Tilman Wagner. Trotzdem sei Stocker lediglich in einem Fall zu verurteilen. Dabei geht es um die Demonstration vom 18. Oktober 2010 mit mehreren Tausend Teilnehmern. Es waren zu wenige Ordner gestellt worden. Bei den folgenden Groß-Demos sei dies zwar ebenso gewesen, so der Richter. Doch vor diesen Versammlungen habe Stocker der Stadt mitgeteilt, die geforderte Ordnerzahl sei unmöglich beizubringen. Darauf habe die Ordnungsbehörde jedoch nicht reagiert. Die Stadt hätte überlegen müssen, wie sie mit dieser Situation umzugehen gedenkt. Stattdessen habe die Stadt nur wieder ihre Standardauflagen erteilt. „Und deshalb waren diese Bescheide nicht rechtmäßig“, so Richter Wagner, der allerdings auch konstatiert, das Versammlungsrecht sei kein schrankenloses Grundrecht. „Wir sind Ihnen so weit wie möglich entgegen gekommen. Mehr können wir nicht tun“, so Wagners Schlusswort an die Adresse Stockers.

Der Alt-Aktivist gibt sich damit vor vollständig gefüllten Besucherreihen im Saal 240 des Landgerichts nicht zufrieden. Er wird Revision einlegen und ist auch entschlossen, bis vors Bundesverfassungsgericht zu gehen. Stocker nennt die Entscheidung der 38. Berufungskammer „feige“ und stellt klar . „Wir müssen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verteidigen.“