Die Lebenskrise von Rudolf Korbel kam, als er um die 50 war. Ihm fehlte etwas, das er inzwischen gefunden hat. Foto: privat

Rudolf Korbel hatte alles, wonach viele streben. Und trotzdem wuchs in ihm eine Sehnsucht. Heute lebt der ehemalige Lehrer an der Waldschule in Stuttgart-Degerloch ein spartanisches Leben. Ein Besuch in seinem Wohnzimmer der anderen Art in Filderstadt.

Bernhausen - Sein Wohnzimmer ist eine Bühne. Rudolf Korbel, ganz in Schwarz gekleidet, sitzt an einem Bistrotisch, nippt ab und zu an seiner Kaffeetasse und schließt die Augen, wenn er von sich erzählt. Sein Leben ist das Gegenteil von gewöhnlich. Denn diese Bühne, die Rabenbühne in Bernhausen, ist tatsächlich seine gute Stube. Nebenan, in einem Vier-Quadrat-Meter-Zimmer schläft er, mehr nicht. Eine Küche hat er nicht, nur zwei Platten, auf denen er sich am liebsten Eintopf kocht. Das klingt spartanisch, doch für Rudolf Korbel ist es genau das, wonach er gesucht hatte. „Ich bin angekommen“, sagt er.

15 Jahre ist es inzwischen her, dass der heute 67-Jährige seinem Leben eine neue Wendung gegeben hat. Von außen betrachtet hatte Rudolf Korbel im Alter von 50 alles, wonach viele streben: eine Ehefrau, drei Töchter, einen guten Job und ein hübsches Bauernhäuschen im Lenninger Tal. Trotzdem war er nicht mehr glücklich. Er fragte sich, was noch kommt. „Der Wunsch, kreativ zu sein, hat mich damals stark eingeholt“, sagt er.

Er war besessen von der Lyrik

Gedichte und Rezitationen haben Rudolf Korbel schon immer in ihren Bann gezogen. „Lyrik ist selig machend“, sagt er. Geistige Inhalte würden aufs Mindestmaß verdichtet. In seinen 30 Jahren als Deutschlehrer an der Degerlocher Waldschule waren Gedichte zwar ein wichtiger Teil seines Alltags. Aber es war nicht genug, ihn drängte es noch stärker zur Lyrik. „Ich war wie besessen“, sagt er mit geschlossenen Augen. Seiner Frau sei es zunehmend auf die Nerven gegangen, wenn er in Reimform antwortete oder im Gespräch mit Zitaten berühmter Dichter argumentierte. „Sie hat gesagt: ,Du musst dich entscheiden: die Lyrik oder ich‘.“

Rudolf Korbel hat sich entschieden. Deshalb ist die kleine Rabenbühne in der Fußgängerzone von Bernhausen heute nicht nur der Ort, an dem er seit zehn Jahren bekannten oder weniger bekannten Künstlern ein Podium bietet. Der Raum, der früher ein Teil des benachbarten Friseursalons war, ist sein Zuhause. Und dafür ist er bereit, auf viele alltägliche Annehmlichkeiten zu verzichten. Denn sein Budget ist begrenzt. Rudolf Korbel wirkt beim Erzählen aufgeräumt. „Ich war immer überzeugt, dass ich alles erreichen kann, wenn ich nur will und dranbleibe“, sagt er.

Rudolf Korbel hatte sein Ziel fest im Blick

Das schlängelt sich als roter Faden durch sein Leben. Nach dem Studium der Germanistik und Romanistik wollte er unbedingt Lehrer werden. Das war Anfang der 1980er, die Zeit der Lehrerschwemme. Deshalb kam er nicht unter, hat rumgejobbt, als Lastwagenfahrer, am Check-in am Stuttgarter Flughafen, als Briefträger, als Nachhilfelehrer. Während seine Studienfreunde angesichts der schlechten Jobaussichten beruflich lieber umschwenkten, hielt Rudolf Korbel an seinem Ziel fest: „Ich war immer hoffnungsvoll, dass mein Leben gut verläuft“, sagt er. „Manchmal dauert es lang, manchmal geht es ratzfatz.“ In seinem Fall dauerte es 15 Jahre. Über die Eltern eines Nachhilfeschülers bekam er schließlich den Job an der Waldschule in Degerloch. Und dort blieb er bis zu seinem Ruhestand vor zwei Jahren.

Rudolf Korbel ist 1951 im fränkischen Ansbach geboren. Als er im Grundschulalter war, ist seine Familie nach Bernhausen gezogen. Ein Teil von ihm ist aber immer in Ansbach hängengeblieben. Von dem Ort gehe eine Sogwirkung für ihn aus, berichtet er. Deshalb haben er und seine Frau dort schon vor vielen Jahren ein verwildertes Grundstück mit einer Blockhütte gekauft. Es ist bis heute, neben der Rabenbühne, sein Paradies. „Ich klinke mich dann aus in eine selbst gewählte Einsamkeit“, sagt er. In seinem umgebauten Camper fährt er dann ins Fränkische. An schönen Tagen sitzt er in mitten seines Biotops, beobachtet die Natur, denkt übers Leben nach und dichtet vor sich hin. Seine Themen sind die Sprache und was sie mit den Menschen macht, Missverständnisse, die Stille, Schweigen.

Am 9. Februar kann man ihn erleben

Wer Rudolf Korbel erleben will, hat am Samstag, 9. Februar, die Gelegenheit. Dann tritt er (Rezitation) mit Volker Luft (Gitarre) auf der Rabenbühne, Bernhäuser Hauptstraße 22, auf. Die musikalisch-literarische Zeitreise ist benannt nach François Villon, einem französischen Lyriker des ausgehenden Mittelalters. Beginn ist um 20 Uhr. Karten kosten 15 Euro. Weitere Infos unter www.rabenbuehne.de.