In Rom türmen sich die Abfallberge am Straßenrand – bis zum Heiligen Jahr, das am 8. Dezember beginnt, will Bürgermeister Ignazio Marino die Stadt wieder auf Hochglanz bringen Foto: dpa

Zum Heiligen Jahr erwartet Rom mehr als 30 Millionen Pilger. Derweil versinkt die Stadt im Chaos – ob die Festivitäten im Dezember problemlos über die Bühne gehen können, steht offen.

Rom - Ida Vallese klaubt ein Stück Papier von dem trockenen Rasen, wirft es frustriert in eine schwarze Mülltüte. Dann noch eins. Und noch eins. „Die Stadt Rom unterhält Hunderte von Gärtnern“, sagt Vallese. „Trotzdem kümmert sich niemand um die Reinigung der Parkanlagen.“ An ihren freien Tagen kommt die Erzieherin deshalb manchmal zu ihrer Arbeitsstelle am östlichen Stadtrand, um mit Freunden den Park neben dem Kindergarten zu reinigen. Roms Bürgermeister Ignazio Marino scheine die Stadt nicht mehr kontrollieren zu können, schimpft Vallese: „Nun müssen wir Bürger versuchen, irgendwie mit dieser Situation fertig zu werden.“

Glaubt man Vallese, versinkt Rom derzeit im Chaos. Dabei sollte sich Italiens Hauptstadt dringend aufpolieren: Papst Franziskus hat ein außerordentliches Heiliges Jahr ausgerufen. Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 wird das „Jubiläum der Barmherzigkeit“ stattfinden – mehr als 30 Millionen Pilger werden dazu in der Heiligen Stadt erwartet.

Am Straßenrand türmen sich die Abfallberge

Momentan sieht es nicht danach aus, als würde sich Rom Ende des Jahres im Festtagsgewand präsentieren. Nicht nur die Stadtparks versinken im Müll. Auch am Straßenrand türmen sich die Abfallberge – die städtische Müllgesellschaft Ama schaffe den Abfall nicht immer weg, sagt Francesco Fedeli, Friseur im schicken Stadtteil Monti: „Die Container werden nur alle paar Tage geleert. Es stinkt zum Himmel.“ Inzwischen werfen viele Bürger ihre Müllbeutel einfach auf die Bürgersteige, berichtet Fedeli – an den Essensabfällen laben sich Ratten und Möwen, verteilen die Reste auf der Straße. „Das Bummeln auf den Bürgersteigen ähnelt einem Hindernislauf“, sagt Fedeli.

Zu alledem wird die italienische Hauptstadt von Korruptionsskandalen erschüttert. Betroffen ist vor allem der öffentliche Nahverkehr. Busfahrer treten immer wieder in den Streik, nehmen auf ihren Touren die Busse außer Betrieb. Die Passagiere müssen aussteigen, oft zwischen zwei Haltestellen – und das alles während einer sommerlichen Hitzewelle. Andere lassen die Busse absichtlich so langsam fahren, dass man zu Fuß schneller vorankommt.

Städtische Politiker im Sumpf der Korruption

Mit ihren Aktionen protestieren die Busfahrer gegen eine Anweisung von Bürgermeister Marino, nach der auch sie jetzt – wie längst alle anderen städtischen Angestellten – bei Arbeitsantritt und Dienstende die Stechuhr betätigen müssen. Marino selbst hat derweil einen Staatsanwalt angeheuert, der für die Strafverfolgung sizilianischer Mafiosi bekannt ist. Er soll ihm helfen, die wuchernde Korruption im römischen Rathaus auszurotten.

Dem vorausgegangen waren seit Ende 2014 etliche Festnahmen von Politikern und Geschäftsleuten mit Verbindungen zur politischen Rechten und Linken. Viele städtische Spitzenpolitiker und -beamten sollen einem lokalen Mafiaring angehört haben.

Eigentlich war Sozialdemokrat Marino vor zwei Jahren angetreten, um Rom finanziell wieder fit zu machen. Vor Journalisten schilderte er kürzlich, wie schockiert er damals war: „Ich hätte nie erwartet, leere Säckel vorzufinden. Fast eine Million Euro in den roten Zahlen, organisiertes Verbrechen, Korruption (...). Ungefähr alles, was am Weg fehlte, waren Landminen.“

Bürgermeister verspricht neue Busse und Abfalltonnen

Viel geändert hat sich bisher nicht. Im Gegenteil: Mit rund 1,4 Milliarden Euro Schulden steht etwa die Transportgesellschaft Atac faktisch vor dem Aus. Marino spricht bereits von einem drastischen Zusammenstreichen der Buslinien – mit unabsehbaren Folgen für den historischen Stadtkern, durch den sich täglich etwa 1,5 Millionen Pkw und 3000 Reisebusse quetschen.

Vergangene Woche versprach Marino den erbosten Bürgern, bis Jahresende 200 neue Busse und 60 000 neue Abfalltonnen zu beschaffen. Zudem wolle er für Atac einen privaten Partner finden sowie für eine Erneuerung der holperigen Straßenbeläge sorgen – die Straßen sind so schlecht, dass ein japanischer Motorradhersteller seine Prototypen auf Roms löchrigem Asphalt testet.

Einen Rücktritt lehnt der Bürgermeister momentan noch ab. „Für Veränderungen braucht es Monate“, erklärte er. „Ich hoffe, dass die Bürger von Rom in einem Jahr sehen werden, was wir alles geschafft haben.“

Der Vatikan zeigt sich besorgt – wird alles fertig?

Doch vielleicht kommt Marino nicht mehr dazu, die Maßnahmen in die Tat umzusetzen. Der Innenminister muss bald entscheiden, ob er der städtischen Führung die Macht entzieht und die Geschicke Roms in die Hände einer speziellen Kommission legt. Das ist bereits in mehreren süditalienischen Städten geschehen, deren Regierungen von Verbrechersyndikaten wie der Cosa Nostra infiltriert waren. Es wäre eine weitere Blamage für die gebeutelte Ewige Stadt.

Das Chaos vor Beginn des Heiligen Jahres beunruhigt auch den Vatikan. Erzbischof Rino Fisichella, vom Papst mit der Organisation des Jubeljahres beauftragt, klagt, dass er in der römischen Stadtverwaltung keine Ansprechpartner findet. Der Bürgermeister scheine nicht an der Realisation der Logistik interessiert zu sein. Es fehlen unter anderem Unterkünfte und öffentliche Toiletten. „Marino sagt immer nur, dass er kein Geld hat“, so Fisichella.

Zahlreiche Unternehmer und Handwerker, die beim vergangenen Heiligen Jahr 2000/2001 mit Arbeiten beauftragt worden waren, wollen dieses Mal nicht mehr mit von der Partie sein. „Die Stadt hat uns seit dem Jahr 2000 nicht für unsere Arbeit bezahlt!“, klagt Tischler Marco Ferraris, „und noch einmal lasse ich mich nicht verarschen!“ Auch die Verbände der Hoteliers und Gaststättenbesitzer Roms sind verärgert. „Es geht hier um das Image Roms“, erklärt ein Sprecher des Gaststättenverbandes, „wenn schon das alltägliche Leben ein Drama sein kann – was wird geschehen, wenn Millionen zusätzlicher Besucher kommen?“

Roms Bürger wehren sich

Ihre Stadt versinkt im Chaos, aber nicht alle Römer wollen dabei tatenlos zusehen. Anstatt auf die Politik zu schimpfen, haben einige Bürger eigene Initiativen gegen den Verfall der Stadt ins Leben gerufen.

#Romasonoio: Für großes Aufsehen sorgte unter anderem der Aufruf des Schauspielers Alessandro Gassmann, der auf Twitter die Initiative #Romasonoio (Rom bin ich) gründete. Gassmann rief die Bürger dazu auf, etwas für ihre Stadt zu tun, die Straße vor ihrer Haustür zu kehren und Fotos von sich mit einem Besen zu veröffentlichen. „Hören wir auf, uns zu beschweren, tun wir etwas“, schrieb der 50 Jahre alte italienische Schauspieler, der in Rom lebt. Die Resonanz war überwältigend, die Aktion beherrschte tagelang die sozialen Netzwerke und die Medien in Italien, Tausende machten mit.

„Retake Roma“: Ein weiteres Beispiel ist die Aktion „Retake Roma“, die Freiwillige zusammenbringt, um die Stadt in Eigenregie zu säubern. „Als Römerin schäme ich mich für die Zustände, aber wenigstens unternehme ich etwas dagegen. Sich zu beschweren und anderen die Schuld zu geben, hilft niemandem“, sagte Gründerin Virginia Vitalone. „Fehler haben alle gemacht: Die Römer, die ihre Stadt verschmutzen, und die Verwaltung, die nichts dagegen unternimmt.“ (dpa)

Roms größte Müllkippe

Mit einer Fläche von etwa 250 Hektar ist Malagrotta die größte Müllkippe Europas. Dass sie voll ist, weiß man seit gut zehn Jahren. Im Oktober 2013 wurde sie offiziell geschlossen. R und 4500 Tonnen Hausmüll werden jedoch noch immer täglich dort entsorgt.

2013hat die EU-Kommission Italien wegen des Weiterbetriebs von Malagrotta beim Europäischen Gerichtshof angezeigt – es drohen zehn Millionen Euro Strafe.

660 Kilo Müll produziert jeder Römer pro Jahr – selbst im verrufenen Neapel sind es 113 Kilo weniger. Nach offiziellen Angaben wird etwa ein Viertel davon recycelt. (mm)