Ein Bild mit Folgen: Sawsan Chebli mit der Armbanduhr, die eine bundesweite Debatte losgetreten hat. Foto: dpa

Integrationswunder, bekennende Muslimin, Twitter-Aktivistin: Der Berliner Politikbetrieb dürfte nur wenige so schillernde Personen bieten wie die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Sie jongliert mit den Klischees – und erntet dafür beispiellosen Hass.

Berlin - Integrationswunder, bekennende Muslimin, Twitter-Aktivistin: Der Berliner Politikbetrieb dürfte nur wenige so schillernde Personen bieten wie die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Dass ein vier Jahre altes Bild, auf dem die Sozialdemokratin eine Luxus-Armbanduhr am Handgelenk trägt, nun bundesweit eine Debatte auslöst – es sagt einiges aus über Sawsan Chebli und noch mehr über ihre Gegner. „Alles, was man zum Zustand der deutschen Sozialdemokratie 2018 wissen muss“, mit diesem Kommentar hatte ein Facebook-User kürzlich ein Foto veröffentlicht, das Chebli mit einer Rolex am Arm zeigt – die Uhr soll 7300 Euro kosten. Daraufhin entspann sich eine Debatte über Politikergehälter, Neid und politische Integrität.

Dass diese Debatte Chebli trifft, überrascht nicht. Die 40-Jährige gilt als Nachwuchstalent der SPD. Als Tochter palästinensischer Flüchtlinge aus dem Libanon und bekennende Muslimin wächst sie mit zwölf Geschwistern in einer kleinen Wohnung in Berlin-Moabit auf. Ihr Vater ist Analphabet, beide Eltern sprechen bis heute kaum Deutsch. Chebli schafft es dennoch aufs Gymnasium, studiert danach Politik und steigt in der SPD auf. 2014 holt sie der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier als stellvertretende Sprecherin ins Auswärtige Amt. Ein Integrationsmärchen – aber keines, das alle zufriedenstellt. Denn Chebli bezeichnet sich selbst als religiös-konservativ. Ihre Familie pflegte Kontakt zu einem Neuköllner Imam, der der salafistischen Szene nahe stand. Sie spricht offen darüber, dass sie keinen Alkohol trinkt, am Ramadan fastet – und lange mit dem Gedanken spielte, ein Kopftuch zu tragen.

Kopftuch oder Lippenstift – Chebli bricht Klischees

Gekonnt und ganz bewusst bricht Chebli die Klischees, die mit ihrer Vita verknüpft werden. Statt Kopftuch trägt sie Ausschnitt und roten Lippenstift; als Kind palästinensischer Eltern beklagt sie den zunehmenden Antisemitismus im Land; als konservative Muslimin beteiligt sie sich offensiv an der Metoo-Debatte. Der scheinbare Gegensatz zwischen Luxusuhr und Sozialdemokratin – es wäre nur der Bruch mit einem weiteren Klischee. Chebli verteidigt sich offensiv: „Wer von euch Hatern (Hassern, Anm. d. Red.) hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen und gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist“, erklärt sie auf Twitter.

Es sind Gegensätze, die ihr viele nicht verzeihen. Lange bevor die SPD-Frau beginnt, in den sozialen Netzwerken offensiv aufzutreten, ist sie in rechten Kreisen zum Hassobjekt aufgestiegen. Bereits in ihrer Zeit als Sprecherin beim Auswärtigen Amt werden ihre Pressekonferenzen beim Videoportal Youtube hochgeladen – und mit fast beispiellosem Hass kommentiert.

Blanker Sexismus und handfeste Drohungen

2016 holt sie der Berliner Bürgermeister Michael Müller als Staatssekretärin in die Senatskanzlei. Mit dem Eintritt ins neue Amt beginnt auch Cheblis Engagement auf Twitter: Rasch wird sie dort zu einer selbstbewussten und führenden Stimme gegen Fremdenhass. Das bleibt nicht ohne Folgen: Ausländerfeindlichkeit, blanker Sexismus und handfeste Drohungen prasseln auf die SPD-Frau nieder. Der österreichische ÖVP-Abgeordnete Efgani Dönmez antwortete auf die Frage eines Twitter-Nutzers, wie Chebli zu ihrem Amt gekommen sei: „Schau dir mal ihre Knie an, vielleicht findest du da eine Antwort.“ Der Politiker fliegt deshalb aus seiner Fraktion.

Auch im politischen Berlin gefällt Cheblis offensiver Einsatz in den sozialen Medien nicht allen: Manch einer bezweifelt, dass es ihr nur um die Themenarbeit geht. Chebli gilt als eifrige Netzwerkerin – vor allem in eigener Sache. Dass sie als junge Frau in der Politik einen offensiven Ehrgeiz an den Tag legt – es wäre in jedem Fall der Bruch mit einem weiteren Klischee.