Felix Loch kann seine Enttäuschung nicht verbergen. Foto: dpa

Die Goldmedaille liegt für Felix Loch schon auf dem Präsentierteller, doch der große Favorit patzt im letzten Durchgang. Dafür holt Johannes Ludwig überraschend Bronze.

Pyeongchang - Das ist die gute Nachricht, die Georg Hackl überbrachte: „Er wird es überleben.“ Felix Loch wird den wohl schwärzesten Tag seiner großen Karriere irgendwann verarbeiten und danach geht es weiter, aber nicht in dieser Nacht, vielleicht auch nicht in den nächsten Tagen, irgendwann. „Felix ist nicht der Typ, der den Kopf in den Sand steckt“, betonte die deutsche Rodel-Legende im unwirtlichen Schneetreiben bei minus 14 Grad an der olympischen Rodelstrecke, „ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit ihm – und jetzt spül’ mer’s mit einem Weißbier runter.“ Und er entschwand hinter einem Vorhang von wild tanzenden Schneeflocken.

Unsere Reporter vor Ort fassen den Tag in ihrer Video-Kolumne zusammen:

Nach was es Felix Loch am späten Sonntagabend zumute war? Keine Ahnung. Der 28-Jährige wollte nach der Entscheidung im Rodel-Einsitzer mit keinem Medienvertreter mehr reden. 212 Tausendstelsekunden Vorsprung hatte der Thüringer, der längst in Berchtesgaden lebt, vor dem entscheidenden Lauf auf den Österreicher David Gleirscher, Felix Loch brauchte sie eigentlich nur noch abholen, seine vierte Olympia-Goldmedaille, sie lag dort unten im Ziel und wartete doch nur noch darauf, dass er ankommen würde. Doch in der Einfahrt der tückischen Kurve neun unterlief dem zwölfmaligen Weltmeister ein minimaler Fehler – mit maximaler Auswirkung. Im Ziel hatte Felix Loch 0,266 Sekunden Rückstand auf Olympiasieger Gleirscher, auf den Überraschungssieger.

Thomas Bach als Seelsorger

Gold futsch, Platz fünf. Statt sich als der erfolgreichste deutsche Rodler von den vielen deutschen Fans feiern zu lassen, saßen 96 Kilogramm unendlicher Schmerz auf einem Schlitten. Wie ein Fußballer, der den entscheidenden Elfmeter im WM-Finale verschossen hat, hockte der gestrauchelte Favorit zusammengekauert da. Er wollte nicht aufstehen, minutenlang. Vater Norbert legte seine Arme um ihn und versuchte zu trösten, wo kein Trost dieser Welt möglich war. Nachdem Felix Loch im Zielgebäude verschwunden war, war auch Thomas Bach als Notfall-Seelsorger im Einsatz. Der IOC-Präsident leistete seelischen Beistand, was dem niedergeschlagenen Sportler offenbar guttat. „Ich glaube, das hat Felix geholfen“, sagte Thomas Schwab, der Generalsekretär des Bob- und Schlittenverbandes Deutschland (BSD).

Felix Loch war nicht der Einzige, der sein Ziel nicht erreicht hatte, auch die Russen Semen Pawlitchenko und Roman Repilow blieben hinter ihren Erwartungen zurück – doch sie scheiterten längst vor dem vierten Lauf. Sie hatten keine Medaille vor Augen, die schon golden in den Augen schimmerte. Es war die Kurve neun, die ihnen allen zum Verhängnis geworden war, die tückische Schlüsselstelle des Eiskanals von Pyeongchang.

„Kurve ist ein Scharfrichter“

„Diese Kurve ist ein Scharfrichter“, hatte Georg Hackel drastische Worte für das Favoritensterben gefunden, „da haben sich alle irre schwergetan.“ Bis zu dieser Stelle hatte Hackls Schützling alles richtig gemacht, den Schlitten dosiert laufen lassen und den Vorsprung verwaltet. „Felix ist falsch eingefahren“, erklärte Hackl das, was alle Deutschen entsetzt gesehen hatten, „und dann hast du keine Chance mehr, da gerade rauszukommen.“ Und Felix Loch schlitterte in Kurve neun in seine persönliche Krise.

Der BSD-Chef Schwab hatte ob des dramatischen Scheiterns des Favoriten („wir haben alle gewusst, dass das in dieser Kurve passieren kann“) aus seinem Verband alle Mühe, den Erfolg eines anderen nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen. „Ich freue mich für den Johannes, das war großer Sport und eine Werbung fürs Rodeln“, sagte er, allerdings nicht überschwänglich, sondern im moderaten Ton, als könne Felix Loch diese Worte hören und er wolle ihn nicht noch mehr verletzen.

Johannes Ludwig profitierte vom Drama seines weit prominenteren Teamkollegen und gewann bei seiner ersten Olympia-Teilnahme die Bronzemedaille. Es war wahrscheinlich seine letzte Chance auf eine Olympia-Plakette, der Rodler aus Suhl ist 31 Jahre alt. Eher unwahrscheinlich, dass er in Peking sich noch einmal in einen Eiskanal stürzt. Felix Loch ist dann 32 Jahre alt. Er dürfte sie noch einmal bekommen, die Chance, der erfolgreichste deutsche Rodler zu werden.

Doch die Wartezeit bis dahin wird wie in Zeitlupe vergehen, und manchmal, wenn die Erinnerung an Pyeongchang wieder hochkommt, dann werden die Gedanken an Lauf vier und Kurve neun Felix Loch verdammt wehtun.