Wirft seinem Ex-Club VfB Versäumnisse vor: Roberto Hilbert Foto: dpa

Vor dem Wiedersehen mit dem VfB wirft Leverkusens Verteidiger Roberto Hilbert seinem Ex-Club Versäumnisse vor. „Dem VfB fehlt die Konstanz“, sagt Hilbert im Interview.

Vor dem Wiedersehen mit dem VfB wirft Leverkusens Verteidiger Roberto Hilbert seinem Ex-Club Versäumnisse vor. „Dem VfB fehlt die Konstanz“, sagt Hilbert im Interview.
 
Stuttgart - Herr Hilbert, an diesem Samstag kommt der VfB nach Leverkusen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Sie gegen Ihren Ex-Club spielen?
Ich habe meine Verletzung vom November (Innenbandriss im linken Knie, Anm. d. Red.) auskuriert. Jetzt bin ich topfit.
Das meinten wir gar nicht. In der Hinrunde hatten Sie nur sechs Bundesliga-Einsätze, in der Champions League haben Sie nur einmal gespielt. Was war da los?
Ich habe in Leverkusen erst spät unterschrieben. Danach konnte ich nicht mehr die intensive Vorbereitung machen, die ich für mein Spiel brauche.
Sie haben sich rechts in der Abwehr mit dem jungen Giulio Donati abgewechselt. Dabei hatten Sie doch bestimmt mit einem Stammplatz gerechnet.
Das stimmt. Ich war mit meiner Situation in der Hinrunde überhaupt nicht zufrieden, auch aufgrund meiner Verletzung. Das neue Jahr kann für mich nur besser werden.
Da kommt Ihnen der VfB gerade recht? Was bedeutet Ihnen dieses Spiel?
Stuttgart ist meine zweite Heimat geworden, ich liebe diese Stadt. Dort leben meine engsten Freunde. Und zum VfB habe ich auch nach drei Jahren in Istanbul noch Kontakt, vor allem zu Christian Gentner.
Sie sind 2007 mit dem VfB deutscher Meister geworden. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Womit verbinden Sie den VfB heute?
Hinterher ist man immer schlauer. Ich glaube, dass es der VfB nach der Meistersaison verpasst hat, eine wirkliche Topmannschaft zu formen. Stattdessen haben Spieler wie Mario Gomez und Sami Khedira den Verein verlassen. Das ist normal bei Profis, die herausragen. Aber dann muss der Verein die Abgänge adäquat ersetzen. Das hat leider nicht geklappt. Die Chance war da, und ich denke, das Geld auch. Der VfB hat ja Champions League gespielt.
Wie erleben Sie den VfB aus der Ferne?
Sportlich steht er sicher nicht dort, wo ihn sich alle hinwünschen. Es fehlt die Konstanz.
Der Verein setzt wieder mehr auf die Jugend.
Zu Recht, das hat den VfB schon immer stark gemacht. Wenn ich Timo Werner sehe – eine absolute Granate. Auch Antonio Rüdiger hat eine große Perspektive. Diesen Kurs sollte der VfB fortsetzen. Wobei: Es muss halt die Mischung aus Erfahrung und Unbekümmertheit stimmen.
Was hat Bayer Leverkusen, was dem VfB fehlt?
Die Mannschaft ist von Jahr zu Jahr konstanter geworden, weil sie systematisch aufgebaut wurde. Das meine ich mit Konstanz.
Dazu gehören auch mutige Entscheidungen. Hat der VfB zu wenig Mut?
Das kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Ich weiß ja nicht, wie viel Geld der Club in Neuzugänge investieren kann. Und natürlich weiß man erst hinterher, ob es sich gelohnt hat. Aber wenn man einen Spieler im Blick hat, muss man vielleicht auch etwas wagen. Aber das gilt ja für alle Clubs.
Sie sind das beste Beispiel.
Mein Wechsel nach Leverkusen war innerhalb von 24 Stunden perfekt. Bayer hat angefragt, und am nächsten Tag habe ich meinen Vertrag unterschrieben.
In der Bundesliga liegt Bayer auf Platz zwei und ist auch im DFB-Pokal und in der Champions League noch dabei. Was geht noch?
Ich hoffe, es geht noch viel! Wir wollen im Pokal so weit wie möglich kommen und nächste Saison wieder in der Champions League dabei sein.
In der Liga gab es drei Niederlagen in Folge.
Am Ende der Hinrunde haben wir die Dreifachbelastung gespürt, da hat uns etwas die Kraft gefehlt. Das haben Frankfurt und Bremen gegen uns ausgenutzt. Dämlich war die Niederlage am Samstag in Freiburg. Da haben wir zweimal geführt und trotzdem verloren. Das müssen wir uns selbst vorwerfen.
Und an der Spitze zieht der FC Bayern immer weiter davon.
Das muss uns nicht groß beschäftigen. Wir müssen auf die Clubs hinter uns achten: Dortmund, Gladbach, Schalke, Wolfsburg. Es liegt an uns selbst, Platz zwei erfolgreich zu verteidigen.
Sie sind vom VfB als rechter Mittelfeldspieler weggegangen, inzwischen spielen Sie rechter Verteidiger. Wie kam es dazu?
Als ich zu Besiktas kam, haben sich gleich beide Rechtsverteidiger verletzt. Da hat mich unser damaliger Trainer Bernd Schuster dort aufgestellt. Es war eine Notlösung, aber ich habe das wohl ganz gut gemacht.
Sie haben sich schon in Istanbul für die Aktion „Zeig dem Rassismus die Rote Karte“ engagiert. Das führen Sie in Leverkusen fort. Was war der Auslöser?
Ich bin mit vielen Türken aufgewachsen. Damals habe ich immer wieder rassistische Äußerungen gehört. Außerdem stammt meine Frau aus Eritrea, meine Kinder haben ihre Pigmente geerbt. Auch da gab es schon unschöne Zwischenfälle. Deshalb ist dieses Engagement für mich eine Herzensangelegenheit.
Wie engagieren Sie sich konkret?
Mein Anliegen ist es, vor allem junge Menschen   für das Thema zu sensibilisieren. Kürzlich hat Bayer in der Bay-Arena einen Projekttag mit zwei Schulen veranstaltet. Und wir haben ein Video gedreht, das an Schulen und Universitäten zum Einsatz kommt.
Sie waren drei Jahre weg aus Deutschland. Wie erleben Sie seit Ihrer Rückkehr das Thema Rassismus?
Ich habe gemerkt, dass der Rassismus inzwischen noch präsenter ist. Einige Menschen werden vielleicht unzufriedener mit ihrer Situation. Aber wenn man unzufrieden ist, sollte man nicht Mitmenschen angreifen, sondern sich fragen: Wie kann ich meine Situation verbessern?
Beim VfB war Thomas Hitzlsperger Ihr Mitspieler. Waren Sie überrascht von seinem Coming-out als Homosexueller?
Ich denke, Thomas war einfach bereit, der Zeitpunkt hat für ihn gepasst. Gegen seine Neigungen und Gefühle kann man sich auf Dauer nicht wehren. Ich bin stolz darauf, dass er diesen Schritt gemacht hat.
Welche Wirkung erhoffen Sie sich?
Ich hoffe, dass es sich ähnlich entwickelt wie bei meinem Engagement gegen Rassismus – dass die Leute sich Gedanken machen und ihre Vorbehalte ablegen.