Robert Habeck gibt sich locker – doch was denkt die Partei? Foto: Imago-/Images

Der Grünen-Chef soll offenbar Vizekanzler werden. Das Machtgefüge an der Parteispitze hat sich verschoben. Das gefällt längst nicht jedem. Es grummelt in der Partei.

Berlin - Am Dienstagmittag hat Robert Habeck das dringende Bedürfnis, ein paar Dinge öffentlich zu sagen. Die neue Grünen-Fraktion kommt zum ersten Mal im Berliner Reichstagsgebäude zusammen, sie ist deutlich größer als die alte. Habeck ist jetzt auch Abgeordneter, das war er vorher nicht. Gleichwohl ist er als Parteichef bei diesem Termin eigentlich nicht die Hauptperson. Zumindest sollte er es nicht sein.

Aber die Dinge sind nun einmal, wie sie sind. Habeck und seine Partei haben in den vergangenen Stunden die Kontrolle über ihre Kommunikation verloren. Es ist nämlich durchgesickert, dass er im Falle einer Regierungsbeteiligung Vizekanzler werden soll – und nicht Annalena Baerbock, die gescheiterte Kanzlerkandidatin. Damit stellt sich die Frage, ob die beiden eigentlich noch gleichberechtigte Parteivorsitzende sind oder Habeck nun faktisch die Nummer eins ist. Das ist auch wichtig mit Blick auf die bevorstehenden Sondierungen und Koalitionsverhandlungen.

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Habeck steht also im Reichstagsgebäude vor einer grünen TV-Wand und bemüht sich um Schadensbegrenzung. Er sagt, dass Baerbock und er selbst „in großer Gemeinsamkeit und großer Geschlossenheit“ die Koalitionsgespräche führen würden. Die Partei stehe „in 120-prozentiger Geschlossenheit“ hinter Baerbock. Zwischen ihnen seien – wie bereits am Vortag verkündet – alle Fragen geklärt. Es sei aber klar, „dass es sich geradezu nicht geziemt, in Personalspekulationen einzusteigen, bevor wir überhaupt Sondierungsgespräche aufgenommen haben oder eine Regierung haben“. Habeck sagt auch: „Die Frage, wer Vizekanzler wird, ist völlig irrelevant, solange wir nicht einmal einen Kanzler haben.“

Außerdem sei es selbstverständlich, dass am Ende eines Prozesses der Regierungsbildung die Partei über Inhalte und Personal abstimmen werde, und zwar auf einem Parteitag oder per Mitgliederbefragung. Dann spricht der Vorsitzende noch vom „Geist der Anerkennung, des Respekts, der Solidarität“, mit dem Baerbock und er die Partei in den vergangenen Jahren geführt hätten. „Und das ist auch der Geist, den ich in den nächsten Wochen und Monaten von uns allen erwarte, und nichts anderes.“

Gab es eine geheime Absprache zwischen Habeck und Baerbock?

Wer genau hinhört, der merkt, dass Habeck mit seiner Wortmeldung eines nicht tut: Er dementiert eben nicht, dass er absprachegemäß Vizekanzler einer wie auch immer gearteten Regierungskoalition werden soll. In Parteikreisen ist zu hören, dass Habeck und Baerbock dies bereits vor Monaten für den Fall vereinbart hätten, dass Baerbock nur ein mäßiges Ergebnis einfährt und es nicht reicht fürs Kanzleramt.

Der Gedanke liegt nahe, dass diese Absprache bereits im Zusammenhang mit der Nominierung Baerbocks als Kanzlerkandidatin im April getroffen wurde: Auch Habeck hätte die Grünen liebend gerne in die Bundestagswahlen geführt. Er musste aber zurückstecken, weil bei der Ökopartei grundsätzlich die Frauen den ersten Zugriff auf Posten und Mandate haben. So gab es zwei Spitzenkandidaten, aber nur eine Kanzlerkandidatin. Der 52-jährige Habeck stellte sich loyal in den Dienst der Sache und tourte in einem kräftezehrenden Wahlkampf durchs Land.

Jürgen Trittin ist stinksauer

Nun werden die Karten neu gemischt. Und das gefällt nicht jedem. Ein Vizekanzler Habeck würde nämlich auch bedeuten, dass ein reines Männer-Trio der kommenden Bundesregierung vorstehen würde: entweder ein Kanzler Olaf Scholz (SPD) oder Armin Laschet (CDU), dazu Habeck und FDP-Chef Christian Lindner. Hinzu kommt: In der grünen Partei, in der die Basis seit jeher eine besondere Rolle spielt und in zentralen Fragen mitentscheidet, wirken Hinterzimmer-Absprachen wie eine Provokation.

Der ehemalige Fraktionschef Jürgen Trittin, eine zentrale Figur der Parteilinken, giftet am Dienstag bereits: „Wir verhandeln eine Regierung, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt. Danach wird entschieden, wer welchen Posten bekommt.“ Das entscheide auch die Partei – „und nicht nur zwei Personen in persönlichen Gesprächen“.

Für Annalena Baerbock sieht es schlecht aus

Unabhängig davon ist offenkundig, dass der Ausgang der Bundestagswahl den Vorsitzenden Habeck eher gestärkt und die Co-Vorsitzende Baerbock eher geschwächt hat. 14,8 Prozent der Stimmen erhielten die Grünen mit ihrer Kanzlerkandidatin. Das ist zwar ein Rekordergebnis auf Bundesebene, aber eben auch viel zu wenig für das Kanzleramt. Nach Baerbocks Nominierung im Frühjahr hatten Demoskopen die Grünen im Umfragen zeitweise bei bis zu 28 Prozent gesehen – bis die Kandidatin Fehler machte und sich wegen Pannen wie zu spät gemeldeter Nebeneinkünfte, eines aufgehübschten Lebenslaufes oder abgeschriebener Textstellen in ihrem Buch rechtfertigen musste.

Bei der Bundestagswahl konnte Habeck seinen Wahlkreis in Flensburg direkt gewinnen, auch das stärkt ihn. Baerbock unterlag in Potsdam gegen SPD-Kanzlerkandidat Scholz. Habeck wird in den bevorstehenden Sondierungen und Koalitionsverhandlungen allein deshalb eine zentrale Rolle spielen, weil er in diesen Dingen sehr versiert ist: Als Landespolitiker in Schleswig-Holstein hatte er in der Vergangenheit bereits Koalitionen mit SPD, CDU und FDP angebahnt.