Das Scharoun-Haus ist eines der Gebäude in der weltweit beachteten Weißenhofsiedlung, über deren Zukunft jetzt wieder verhandelt wird. Foto: dpa

Seit Jahren, ja Jahrzehnten gibt es Versuche, die Zukunft der berühmten Werkbundsiedlung auf dem Killesberg nachhaltig abzusichern. Sie soll keine Beute von Investoren werden. Oft stagnierten die Bemühungen oder zerschlugen sich. Jetzt versuchen Bund und Stadt die Haupthindernisse wegzuräumen.

Stuttgart - In der Weißenhofsiedlung erkennen die Bewohner wieder Anzeichen, dass der Bund die ehemalige Werkbundsiedlung in Kürze verkaufen könnte. Der Grund: In dem Viertel seien Ermittler gesichtet worden, die den Zustand und den Wert der Häuser taxieren sollen, wie Nils Büttner von der Staatlichen Kunstakademie erfahren hat. Er wohnt selbst in der Siedlung, bekam aber auch von anderer Seite derartige Hinweise. Die Schätzer seien im Auftrag der Stadt Stuttgart unterwegs.

„Das würde mich nicht wundern, denn wir haben einen neuen Anlauf zur Lösung begonnen“, sagt Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) über die seit Jahren, ja Jahrzehnten andauernden Bemühungen um eine sichere Zukunft für die denkmalgeschützte Siedlung. Die Stadt und ihr Wohnbauunternehmen SWSG einerseits sowie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben andererseits befänden sich mitten in neuen Gesprächen über die Übernahme – „Ausgang ungewiss“. Aber es handle sich um einen ernsthaften Versuch. „Das ist keine Trockenübung“, versichert Föll.

Wirtschaftliche Lösung für SWSG gesucht

Im Vergleich zu früheren Anläufen, die an der Frage des Wertes scheiterten, gibt es einen nicht unerheblichen Unterschied: Die Beteiligten gehen weiter ins Detail. Man habe sich vorgenommen, Haus für Haus zu bewerten, sagt Föll. Das dient dem Ziel, den Sanierungs- und Modernisierungsaufwand genauer zu erfassen. Mit Pauschalen und mit Sicherheitsaufschlägen zu kalkulieren, hat sich offenbar als Sackgasse erwiesen.

Würde man den Aufwand zu hoch ansetzen, hätte der Bund als bisheriger Eigentümer hohe Abstriche hinzunehmen. Würde man den Aufwand zu gering ansetzen, würden die Stadt und ihre Wohnungsbautochter sich möglicherweise eine schwere Hypothek aufhalsen. Sowohl der Bund wie auch die Stadt sind haushaltsrechtlich gehalten, kein Geld zu verschenken und Risiken zu vermeiden. Das gilt auch für die SWSG, macht Föll klar: „Die SWSG muss in der Lage sein, die Siedlung in tragbarer Weise zu bewirtschaften.“ Also ohne dauerhaftes Minus aus der Vermietung der Häuser und ohne spätere Wertberichtigung in den Büchern der SWSG. Das Thema Sicherheitsaufschläge bei Instandhaltungsaufwendungen sei „eine der Hauptdifferenzen“ in früheren Gesprächen gewesen. Über dieses Hindernis versuche man jetzt weg zu kommen.

Bürgermeister Föll hofft auf Einigung im kommenden Jahr

Einen festen Termin habe man sich dafür nicht gesetzt, sagt Föll, obwohl er wie manche Bewohner einen „hohen Instandhaltungsrückstand“ erkennt und der Zustand der Häuser ohne Maßnahmen nicht besser wird. Er denke, dass man im Lauf des Jahres 2017 entweder zu einer gemeinsamen, für beide Seiten tragbaren Lösung kommen werde – oder den derzeitigen Anlauf für gescheitert erklärt. Dann würde wohl eine neuerliche Pause beginnen und irgendwann ein neuer Versuch. Doch so, sagt Föll, könne man ja auch nicht ewig weitermachen. Bei der Bima sieht man noch keine neue Dynamik. Die Behörde will nicht von „konkreten“ Verhandlungen sprechen.

Zum Glück für die Bewohner und für den Denkmalschutz scheint es zurzeit keine Mitbewerber für die Stadt zu geben. Die Bima ist nach Fölls Worten ein „verlässlicher Gesprächspartner“. Das heißt in dem Fall auch, dass die Bima kein Doppelspiel betreibt, sondern den Status quo respektiert. Der lässt sich seit 2012 so charakterisieren: Die Verwaltung der rund 90 Wohnungen in der Siedlung wird nicht an ein Privatunternehmen ausgelagert, wie es mit anderen Bima-Objekten der Fall war. Die Häuser dürfen auch nicht einzeln verkauft werden, und das weitere Vorgehen soll die Bima stets mit der Stadt abstimmen, fasst Föll zusammen.

Oft sind Abgeordnete und Minister eingeschaltet worden

Die Verwaltungsfrage war zuletzt im Jahr 2012 von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf Bitten des CDU-Abgeordneten Stefan Kaufmann entschieden worden. In der Zeit davor hatten immer wieder auch die SPD-Parlamentarierinnen Ute Kumpf und Ute Vogt das Schlimmste zu verhindern versucht und SPD-Minister mobilisiert. Immer ging es darum, der großen Politik und der Immobilienverwaltung des Bundes klar zu machen, dass man die ehemalige, von architekturgeschichtlich interessierten Menschen weltweit beachtete Werkbundsiedlung nicht behandeln könne wie x-beliebige Immobilien des Bundes. Dabei war immer klar, dass die Bima selbst unter Druck steht, weil sie nicht notwendige Immobilien des Bundes eigentlich versilbern muss. Um Sicherheit für die Weißenhofsiedlung zu schaffen, waren die Überführung in eine Stiftung und auch früher schon der Kauf durch Stadt und SWSG erwogen worden – und gescheitert. Geredet wurde ums Jahr 2012 herum über Preisforderungen von zwölf bis 15 Millionen Euro.

Dass diese Siedlung etwas Besonderes ist, weiß man natürlich auch beim Denkmalschutz. Nachdem gerade das Le-Corbusier-Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung von der Unesco zum Welterbe erklärt worden ist, arbeitet Herbert Medek von der Unteren Denkmalbehörde für eine Anerkennung der kompletten Siedlung als „Kulturerbe“ durch die Europäische Union.

Weitere Auszeichnung könnte auch den Wert der Siedlung steigern

Die Botschaften von Föll und Medek könnten vielleicht auch die wieder aufgekeimten Sorgen in der Siedlung dämpfen. Denn dort fürchtet man nicht das Interesse der Stadt an der Übernahme. Dort fürchtet man eher, dass Bima und Stadt sich nicht einigen und nachher Investoren zum Zuge kommen, das Ensemble vielleicht sogar zerstückeln. Dann, meint Nils Büttner von der Kunstakademie, hätte es der Denkmalschutz viel schwerer, die Besonderheiten der Siedlung zu bewahren.

Eine Einigung zwischen Bima und Stadt würde den gordischen Knoten endlich zerschlagen. Die Stadtverwaltung muss sich dabei schon deshalb sputen, weil die Auszeichnung der Siedlung als Kulturerbe vielleicht nicht nur ihren ideellen Wert steigern würde, sondern auch den materiellen Wert.