Richterin Ricarda Brandts findet deutliche Worte Foto: dpa

Dass sich der Staat selbst an Recht und Gesetz hält, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Gerade der Fall um den zu Unrecht abgeschobenen Islamisten Sami A. zeigt, dass dem nicht so ist.

Stuttgart/Tunis - Nun hat sich auch Armin Laschet in dem Streit um Sami A. zu Wort gemeldet. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat erklärt, dass sich die Landesregierung an die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts halten werde, wonach der als zu Unrecht abgeschobene Gefährder nach Deutschland zurück gebracht werden muss. Dass sich der Staat selbst an Recht und Gesetz hält, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Gerade der Fall zeigt, dass dem nicht so ist.

Woran entzündet sich der Streit?

Der von den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestufte Sami A. war Mitte Juli nach Tunesien abgeschoben worden. Einen Tag zuvor hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass der 42 Jahre alte Tunesier vorerst nicht abgeschoben werden dürfe. Begründung: Sami A. könnte Folter drohen. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wurde diese Entscheidung aber erst am nächsten Tag zugestellt – als A. bereits im Flieger saß.

Was sagen die Gerichte dazu?

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschied, der Staat müsse den Tunesier unverzüglich zurückholen. Dagegen wehrt sich die Stadt Bochum, deren Ausländeramt für den Fall zuständig ist. Nun hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster im Eilverfahren die Vorinstanz bestätigt. Dagegen gibt es keine weiteren Rechtsmittel.

Welche Schlüsse zieht das Gericht?

Die Präsidentin des Gerichts, Ricarda Brandts, sieht durch den Fall das Vertrauensverhältnis zwischen Behörden und Justiz nachhaltig geschädigt – und erhebt schwere Vorwürfe. „Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet“, sagte sie nach der Entscheidung. „Dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurden Informationen bewusst vorenthalten.“ So hätten die Behörden verhindern wollen, dass die Justiz rechtzeitig ein Abschiebeverbot verhängen konnte. Äußerungen dieser Art sind von Seiten der Justiz sehr selten.

Was ist der Vorwurf an die Behörden?

Das OVG findet deutliche Worte zu den Abläufen am 12. und 13. Juli. Die Situation sei vermeidbar gewesen, wenn in dem asylrechtlichen Eilrechtsschutzverfahren der Bitte des Verwaltungsgerichts um Mitteilung des Abschiebungstermins entsprochen worden wäre. Dies sei nicht geschehen. Man habe dem Gericht zwar die Stornierung des Abschiebefluges am 12. Juli mitgeteilt, nicht aber, dass am Folgetag um 6.30 Uhr abgeschoben werden sollte. Das OVG moniert zudem, dass die Abschiebung am 13. Juli nicht abgebrochen wurde. Die Entscheidung dass Sami A. nicht abgeschoben werden dürfe, sei dem Bamf um 8.14 Uhr und damit eine Stunde vor dessen Übergabe an die tunesischen Sicherheitskräfte mitgeteilt worden. Spätestens um 8.44 Uhr habe davon die Stadt Bochum Kenntnis gehabt. Die organisatorisch eingebundene Bundespolizei hatte eingeräumt, dass ein Funkspruch ins Cockpit für den Abbruch ausgereicht hätte.

Was geschieht nun mit Sami A.?

Die Stadt Bochum hat erklärt, dass Sami A. nicht geholt werde, sondern von sich aus nach Deutschland zurückreisen müsse. Das Auswärtige Amt müsse ihm ein Visum für die Einreise ausstellen. Die Stadt will dem Mann eine Zusage geben, dass sie die Flugkosten übernimmt. Aus Tunesien heißt es, Sami A. habe „in rechtlicher wie in praktischer Hinsicht“ keine Möglichkeit nach Deutschland zurückzureisen. Gegen ihn laufe ein Ermittlungsverfahren, sein Reisepass sei abgelaufen und von den Behörden konfisziert worden.

Was bedeutet das Urteil für die Landesregierung?

Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) steht nun gehörig unter Druck. Er hatte „die persönliche Verantwortung“ für die umstrittene Abschiebung übernommen. Da diese Abschiebung offensichtlich rechtswidrig war, fordern mehrere Oppositionspolitiker nun Stamps Rücktritt. Die FDP wirft im Gegenzug dem für das Bamf zuständigen Bundesinnenminister „unglaubliches Versagen“ vor.

Was sagt Tunesien?

Sofiène Sliti, Sprecher der Staatsanwaltschaft in Tunis, zeigte sich unbeeindruckt von dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster. Sami A. sei tunesischer Staatsbürger und stehe allein unter der Hoheit der tunesischen Justiz, erklärte er. Wenn sich Sami A. etwas habe zuschulden kommen lassen, werde das vor einem tunesischen Gericht geklärt und nicht in Deutschland. Bis heute jedoch sei kein offizielles Ersuchen von deutscher Seite eingegangen, Sami A. auszuliefern.

Droht Sami A. Folter?

Tunesien bestreitet das. Menschenrechtsorganisationen sehen jedoch nach wie vor erhebliche Defizite in diesem Bereich. Folter und Einschüchterung seien üblich.