Lars Eidinger in „Richard III.“ Foto: dpa

Willkommen zur Lars-Eidinger-Freak-Show: Thomas Ostermeiers furiose „Richard III.“-Inszenierung an der Berliner Schaubühne.

Eben noch kauerte Prinzessin Anne neben dem Sarg, verfluchte mit dem Furor einer verbitterten Witwe Richard, den Bruder und Mörder ihres Mannes. Doch wenige Shakespeare-Verse später knutschen die Trauernde und der nackte Krüppel schon über dem Sarg des toten Prinzen.

Diese Szene, in der Richard Anne weismacht, sein Mord nicht nur an ihrem Mann, sondern auch an dessen Vater sei in Wirklichkeit ein Akt der Liebe gewesen, wird gerne als eine Schlüsselszene in Shakespeares frühem Königsdrama „Richard III.“ bezeichnet. Doch Lars Eidinger macht den Monolog, der dieser Szene folgt, zum eigentlichen Kern dieser monströsen Tragödie. Allein steht er gekrümmt auf der Bühne, ist selbst fassungslos, wie einfach das Spiel der Täuschung doch ist, wie leicht es ist, alles zu erreichen, wenn man keine Skrupel kennt und kein Gewissen hat. „Wie weit kann ich noch gehen in diesem bösen Treiben?“, fragt er sich und richtet sich mühsam auf, stellt sich in seiner Nacktheit zur Schau: Die Spiele mögen beginnen.

Wenn es nur darum gegangen wäre zu beweisen, was für ein furioser Richard Lars Eidinger sein kann, hätte es nicht die gut zweieinhalb Stunden gebraucht, in denen Thomas Ostermeier „Richard III.“ an der Berliner Schaubühne als die große Lars-Eidinger-Freak-Show inszeniert. Diese eine Szene genügt Eidinger, um mit seiner lakonischen Lust an der Selbstentblößung die Faszination des Bösen auszustellen.

Eidinger gibt Richard als den schlimmsten von all den virtuos unmoralischen Manipulatoren, die sich in Shakespeares Tragödien tummeln. Denn wenn er Geschwister, Könige, Ehefrauen, Kinder niedermetzeln lässt, um an den Thron zu kommen, tut er das nicht wirklich aus Habgier, Rachsucht oder Machtstreben. Für ihn ist alles nur ein Spiel, eine Versuchsanordnung.

Jan Pappelbaums Bühne verkleidet sich deshalb auch als Spielplatz, als sandige Arena, in deren Mitte ein Mikrofon baumelt, in das Richard seine Monologe spricht, auch in der Eröffnungsszene. Während die anderen gerade bei einer rauschenden Party mit lauter Technomusik, Konfettikanonen und Sekt den letzten Sieg feiern, humpelt er als buckeliger Außenseiter ans Mikrofon, eröffnet das Spiel, indem er mit nüchterner Boshaftigkeit verkündet, dass er beschlossen habe, von nun an ein Scheusal zu sein.

Der von Marius von Mayenburg, Hausdramaturg der Schaubühne, neu übersetzte Text passt sich griffig Eidingers Duktus und Ostermeiers effektvoll-dramatischer Inszenierung an. Das Übrige erledigt der Zuschauerraum der Schaubühne. Der ahmt nun nämlich das Globe Theater nach: mit einer steilen Galerie und Sitzplätzen, die sich so nah an Spieler auf der Bühne wagen, dass man deren Atem hören, deren Schweiß riechen kann, und diesen „Richard III.“ zu einem unmittelbaren, erschütternden, verstörenden Erlebnis machen.

Doch natürlich gehört dieser Abend ganz Lars Eidinger, der die letzte Schlacht alleine kämpfen, „Ein Königreich für ein Pferd“ rufend sterben und kopfüber in der Arena hängen wird. Der Rest des Ensembles hat es da schwer. Eva Meckbach als Elisabeth kann dem am ehesten noch etwas entgegensetzen. Christoph Gawenda, den man aus seiner Zeit im Stuttgarter Ensemble in guter Erinnerung hat, muss sich dagegen damit begnügen, immerhin zweimal – einmal als Clarence und einmal als Dorset – sterben zu dürfen.

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